Der Prinz von Astrilandis
Astrilandis, der nach wenigen Sekunden zu leuchten und zu funkeln begann, wenn die Sonnenstrahlen den ganzen Palastberg beleuchteten. Laonira verfolgte dieses Schauspiel jeden Morgen erneut mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust.
Dort auf dem Kontinent Astrilandis in einem der vielen Räume des Palastes lebte ihr Sohn, den sie so sehr vermisste. Diesen kurzen Augenblick des Tages hatte sie ihm geweiht und das helle Strahlen des Palastes ließ in ihr Tag für Tag einen Funken Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Hero aufkeimen. So bald die Sonne höher stieg, versank der astrilandische Kontinent wieder in den Nebelschwaden, die ihn wie aus dem Meer heraufsteigende Seelen zu verschlingen drohten. Jedes Mal hielt Laonira den Atem an, wenn sich ihr dieses Schauspiel bot. Die großen Kristalle in der Felswand des Palastes leuchteten nur für einen Augenblick auf, wenn die Sonne sie in einem bestimmten Winkel traf. Dieser Anblick war so überwältigend, wie auch der Ruhm dieses Reiches alles überstrahlte, was in dieser Welt von Bedeutung war.
Das Schauspiel war beendet und Laonira ging in den dunklen Opferraum des Sanivalatempels, um ein paar Fackeln anzuzünden. Als die Schatten der Flammen die steinernen Wände hinauf züngelten, kniete sie sich auf die unterste Stufe des goldenen Altars. Sie senkte ihren Kopf, öffnete die Schließe ihres Lederbeutels, der um ihre Hüften geknotet war und zog zwei kleine, in allen Regenbogenfarben schimmernde Fische heraus. Sie stand langsam auf, stieg die beiden letzten Stufen empor und legte die beiden Fische behutsam in die silberne Schale auf dem Altar. Ihren Blick weiterhin nach unten gewandt, ging sie zurück in die Mitte des Tempels und legte sich auf das Mosaik, das einen großen Seestern darstellte. Auf dem kalten Stein liegend sprach sie das Gebet, mit den immer gleichen Worten: „Göttin Sanivala erhöre mein Flehen: gib mir meinen Sohn zurück, behüte ihn und schenke ihm deine Gunst. Bereite ihn vor auf ein Leben in unserem Lande und führe ihn zum Orakel, damit er das Vermächtnis von Miatris annehmen kann.“
Seit der Geburt ihres Sohnes, der jetzt ein junger Mann war, bat Laonira die rachsüchtige Göttin darum, ihr Hero wiederzugeben, den ihr Pantheer, der grausame Herrscher von Astrilandis entrissen hatte. Sie würde nie die Hoffnung aufgeben, ihn einst wieder in ihre Arme schließen zu können.
Während Laonira im hellen Sonnenschein mit wehenden Haaren vom Felsplateau herabstieg, dachte sie mit Wehmut an die Zeit zurück, als sie selbst auf Astrilandis lebte und voller Hoffnung war, dort mit dem Herrscher Pantheer ein glückliches Leben zu führen. Doch die Geburt der Zwillinge hatte all ihre Hoffnungen endgültig zerstört. Die stolzen Astrilandier, und allen voran Pantheer, ihr Geliebter und Herrscher, hatte sich gegen sie gewandt. Zwillinge zu gebären war ein unheilvolles Orakel und so musste sie, um das Leben des Zwillingsmädchens zu retten, das geopfert werden sollte, fliehen. Ihren Sohn hatte man ihr entrissen und erst als sie in Miatris mit ihrer kleinen Tochter ankam, erkannte sie, in welches Unglück sie diese Verbindung mit Pantheer gestürzt hatte. Immer wieder versuchte sie, sich ihren Sohn vorzustellen, doch jedes Mal entstand ein anderes Bild vor ihren Augen. War er groß und dunkelhaarig wie sein Vater oder zartgliedrig wie ihre Tochter? Hatte er die helle Haut der Salsivaren oder war seine Haut so goldfarben wie die seines Vaters? War er ungeduldig, aufbrausend, nachtragend und herrschsüchtig oder hatte er ein sanftes Wesen? Tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf, wenn sie an ihren Sohn dachte. Doch ihr war nur die Tochter geblieben, Hero hatte sie in all der Zeit nie mehr wieder gesehen.
Myadne war zu einer jungen Frau herangewachsen, die früh am Morgen am Seeufer im Kratergrund Blumen pflückte. Laonira sah sie schon von weitem und freute sich, sie zu begrüßen und in die Arme zu schließen. Sie lief deshalb schnell und ohne auf die kantigen Felsstufen zu achten den schmalen steilen Weg hinunter zum Kratersee, vorbei an kleinen Steinhäusern und Gärten, wo ihre Bediensteten wohnten. Dieses Mädchen war ihr ganzes Glück. Myadne sah ihrer Mutter nicht nur sehr ähnlich, sie hatte ähnlich wie Laonira auch den schwingenden Gang und die melodische Stimme, die ihrer Sprache einen besonderen Klang verlieh. Der See lag noch im Schatten der Kraterwand. Er wirkte wie ein schwarzes Tuch, nur vom Wind in leichte Falten gelegt. Myadne sah ihre
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