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Der Prophet

Titel: Der Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khalil Gibran
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sich selbst.
    Die Liebe besitzt nicht, noch will sie Besitz sein.
    Denn der Liebe ist die Liebe genug.
     
    |16| Wenn ihr liebt, sollt ihr nicht sagen: »Gott ist in meinem Herzen«, sondern: »Ich bin im Herzen Gottes.«
    Und meint nicht, ihr könntet den Lauf der Liebe bestimmen, denn befindet sie euch für würdig, bestimmt vielmehr sie euren
     Lauf.
     
    Die Liebe wünscht nichts, als sich selbst zu erfüllen.
    Doch wenn ihr liebt und Wünsche haben müsst, dann wünscht euch dies:
    Zu zerschmelzen und gleich einem rauschenden Wasser zu werden, das der Nacht seine Weise singt.
    Die Qual zu großer Zärtlichkeit kennen zu lernen.
    Verwundet zu werden von eurem eignen Verständnis der Liebe;
    Und bereitwillig und freudig zu bluten.
    Im Morgengrau mit einem Lerchen-Herzen aufzuwachen und für einen neuen Tag des Liebens Dank zu sagen;
    In der Mittagszeit zu rasten und dem Entzücken der Liebe nachzusinnen;
    Am Abend dankbar heimzukehren;
    Und dann einzuschlafen mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen und einem Lobgesang auf den Lippen.

|17|
Von der Ehe
    Dann sprach al-Mitra wieder und sagte: Und was ist mit der Ehe, Meister?
    Und er antwortete und sagte:
    Zusammen wurdet ihr geboren, und zusammen werdet ihr für immer bleiben.
    Ihr werdet zusammen sein, wenn die weißen Schwingen des Todes eure Tage zerstreuen.
    Ja, selbst im schweigenden Gedächtnis Gottes werdet ihr beisammen sein.
    Aber gestattet einander Freiräume in eurem Beisammensein.
    Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen.
     
    Liebt einander, aber macht aus der Liebe keine Fessel:
    Sie sei eher eine wogende See zwischen den Küsten eurer Seelen.
    Füllt jeder des anderen Becher, aber trinkt nicht aus einem einzigen Becher.
    Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht von demselben Laib.
    |18| Singt und tanzt und freut euch zusammen, aber gestattet einander, je für sich allein zu sein,
    Gerade so, wie die Saiten einer Laute allein sind, auch wenn sie von derselben Musik erzittern.
     
    Gebt eure Herzen, aber nicht in des anderen Gewahrsam.
    Denn einzig die Hand des Lebens kann eure Herzen fassen.
    Und steht zueinander, doch nicht zu dicht beieinander:
    Denn die Säulen des Tempels stehen je für sich,
    Und Eichbaum und Zypresse wachsen nicht jedes in des anderen Schatten.

|19|
Von den Kindern
    Und eine Frau, die einen Säugling an ihre Brust drückte, sagte: Sprich zu uns von den Kindern.
    Und er sagte:
    Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
    Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
    Sie kommen durch euch, doch nicht aus euch,
    Und sind sie auch bei euch, gehören sie euch doch nicht.
     
    Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken,
    Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
    Ihren Körpern dürft ihr eine Wohnstatt bereiten, doch nicht ihren Seelen,
    Denn ihre Seelen wohnen im Haus der Zukunft, und das bleibt euch verschlossen, selbst in euren Träumen.
    Ihr dürft danach streben, ihnen ähnlich zu werden, doch versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
    Denn das Leben schreitet nicht zurück, noch verweilt es beim Gestern.
    |20| Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebendige Pfeile abgeschnellt werden.
    Der Schütze sieht die Zielscheibe auf dem Pfad des Unendlichen, und Er beugt euch mit Macht, damit Seine Pfeile umso geschwinder
     und weiter fliegen.
    Freut euch der Beugung, die euch die Hand des Bogenschützen aufzwingt;
    Denn so wie Er den flüchtigen Pfeil liebt, liebt Er auch den verharrenden Bogen.

|21|
Vom Geben
    Dann sagte ein Reicher: Sprich zu uns vom Geben.
    Und er antwortete:
    Ihr gebt nur wenig, wenn ihr von eurer Habe gebt.
    Wahrhaft gebt ihr erst, wenn ihr von euch gebt.
    Denn was ist eure Habe anderes als Dinge, die ihr aus Furcht, ihr könntet sie morgen benötigen, aufbewahrt und bewacht?
    Und morgen – was wird das Morgen dem übervorsichtigen Hund schon bringen, der Knochen im weglosen Sand vergräbt, während er
     den Pilgern zur heiligen Stadt folgt?
    Und was ist Furcht vor Not denn anderes als Not?
    Ist nicht die Angst vor Durst, wenn euer Brunnen voll ist, erst der Durst, den nichts je löschen kann?
     
    Menschen gibt’s, die von dem Vielen, das sie haben, wenig geben – und es nur um der Anerkennung willen tun   –, und ihr geheimer Wunsch macht ihre Gabe unbekömmlich.
    Und Menschen gibt’s, die wenig haben und es restlos hingeben.
    |22| Sie sind diejenigen, die an das Leben und des Lebens Fülle glauben, und ihre Truhe wird niemals

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