Der Prophet
Freude und euer Leid nicht anders als steigen
oder fallen.
|33|
Von den Häusern
Dann trat ein Maurer vor und sagte: Sprich zu uns von den Häusern.
Und er antwortete und sagte:
Baut aus euren Vorstellungen eine Laube in der Wildnis, ehe ihr in den Mauern der Stadt ein Haus errichtet. Denn so wie ihr
in der Dämmerung heimkehrt, kehrt auch der Wanderer in euch heim, der immer Ferne und Einsame.
Euer Haus ist euer größerer Körper.
Es wächst in der Sonne und schläft in der Stille der Nacht; und nicht ohne Traum ist es. Träumt etwa euer Haus nicht? Und
verlässt es nicht, träumend, die Stadt und tauscht sie gegen Hain oder Hügel?
Könnte ich eure Häuser doch nur in der Hand sammeln und sie wie ein Sämann über Wald und Wiese verstreuen!
Wären doch die Täler eure Straßen und die grünen Pfade eure Gassen, dass ihr einander in Weingärten suchen könntet und mit
dem Duft der Erde in euren Kleidern heimkehren!
|34| Doch dafür ist die Zeit noch nicht gekommen.
In ihrer Angst drängten eure Ahnen euch zu dicht zusammen. Und diese Angst wird noch eine Zeit lang fortbestehen. Noch eine
Zeit lang werden eure Stadtmauern eure Herde von euren Feldern trennen.
Und sagt mir, Menschen von Orfalîs, was habt ihr in diesen Häusern? Und was hütet ihr hinter verschlossenen Türen?
Habt ihr Frieden, den ruhigen Drang, der eure Kraft offenbart?
Habt ihr Erinnerungen, die schimmernden Bogen, die die Klüfte des Denkens überspannen?
Habt ihr Schönheit – sie, die das Herz von Dingen aus Holz und aus Stein zum heiligen Berg führt?
Sagt mir, habt ihr diese Dinge in euren Häusern?
Oder habt ihr lediglich Behaglichkeit und die Gier nach Behaglichkeit, dieser heimlichen Kreatur, die als Gast das Haus betritt
und dann zum Wirt und dann zum Herrn wird?
Ja, zu einem Bändiger wird sie, und mit Haken und Peitsche macht sie Marionetten aus euren größeren Wünschen.
Sind ihre Hände auch aus Samt – ihr Herz ist aus Eisen.
Sie wiegt euch nur in den Schlaf, um an eurem Bett zu wachen und die Würde des Fleisches zu verhöhnen.
|35| Ihren Spott treibt sie mit euren starken Sinnen und packt sie in Stroh wie zerbrechliche Gefäße.
Wahrlich, die Gier nach Behaglichkeit mordet die Leidenschaft der Seele und mischt sich dann grinsend in den Trauerzug.
Ihr aber, Kinder des Himmelsraums, ihr ruhenden Rastlosen, ihr sollt euch nicht fangen noch bändigen lassen.
Euer Haus soll kein Anker sein, sondern ein Mast.
Es soll kein schimmerndes Häutchen sein, das eine Wunde bedeckt, sondern ein Lid, das das Auge beschirmt.
Ihr sollt eure Flügel nicht zusammenfalten, um durch Türen gelangen zu können, noch den Kopf beugen, damit er nicht gegen
eine Decke stoße, noch nicht zu atmen wagen aus Furcht, Wände zu sprengen und zum Einsturz zu bringen.
Ihr sollt keine Gräber bewohnen, von den Toten für die Lebenden bereitet.
Und wenn auch herrlich und prachtvoll, darf euer Haus nicht der Hüter eures Geheimnisses noch das Obdach eurer Sehnsucht sein.
Denn was in euch grenzenlos ist, wohnt im Palast des Himmels, dessen Tür der Morgendunst ist und dessen Fenster die Lieder
und die Stille der Nacht.
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Von den Kleidern
Und der Weber sagte: Sprich zu uns von den Kleidern.
Und er antwortete:
Eure Kleider verbergen viel von eurer Schönheit, doch das Unschöne bedecken sie nicht.
Und obwohl ihr in der Kleidung die Freiheit des Fürsichseins sucht, könntet ihr in ihnen eine Fessel und eine Kette finden.
Könntet ihr doch der Sonne und dem Wind mit mehr von eurer Haut und weniger von eurer Kleidung begegnen!
Denn der Hauch des Lebens liegt im Sonnenlicht und die Hand des Lebens im Wind.
Manche von euch sagen: »Es war der Nordwind, der unsere Kleider wob.«
Und ich sage: Ja, der Nordwind war’s,
Doch die Scham war sein Webstuhl, und die Erschlaffung der Sehnen war sein Faden,
Und als sein Werk vollendet war, lachte er im Wald.
Vergesst nicht, dass das Schamgefühl ein Schild gegen das Auge des Unreinen ist,
|37| Und ist erst das Unreine nicht mehr, was wäre Schamgefühl anderes als eine Fessel und eine Verpestung des Geistes?
Und vergesst nicht, dass die Erde es genießt, eure nackten Füße zu spüren, und die Winde sich sehnen, mit euren Locken zu
spielen.
|38|
Vom Handel
Und ein Kaufmann sagte: Sprich zu uns vom Handel.
Und er antwortete und sagte:
Die Erde schenkt euch ihre Früchte, und ihr werdet keinen Mangel leiden, solange ihr zuzugreifen wisst.
Durch
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