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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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Beine.
    »Ich weiß.« Sie schenkte ihm ein Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung. »War gar nicht so einfach, dich aufzuspüren.«
    »Aufzuspüren?«
    Lith rollte mit den Augen. »Kannst du eigentlich auch in ganzen Sätzen sprechen?«
    »Äh …«
    »Ach so, verstehe. Du bist ein wenig durcheinander.«
    Matteo blinzelte. Durcheinander war die Untertreibung des Jahrhunderts. Vor ihm stand ein Pippi-Langstrumpf-Verschnitt mit einer Riesenklappe und er war – tja, wie sagte man nun am besten dazu? – unsichtbar. Oder doch tot? Nicht die besten Voraussetzungen, um seinem Gehirn Höchstleistungen abzuverlangen.
    »Aber jetzt ist keine Zeit dafür«, quatschte Lith weiter, wobei sie einen heiteren Ton anschlug. »Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen, bevor …«
    »Weg? Wohin?«
    »Nach Jandur. Dich zu deinem Körper zurückbringen.«
    »Jandur. Körper. Zurückbringen. Was ?«
    »Bei den Smaragdflüssen!« Lith sprang vom Schrank und kam entschlossen auf Matteo zu. Die Absätze ihrer Stiefel klapperten auf dem Parkettboden, ihre grüne Haarpracht wippte. »Jetzt stell dich nicht so an. Das ist ja schlimmer als ich dachte.« Sie blieb dicht vor ihm stehen und tippte mit dem Zeigefinger auf seine Brust. Ihre Fingernägel glitzerten violett. »Du musst mir einfach vertrauen.«
    Matteo atmete ihren Duft ein. Sie roch ganz seltsam, irgendwie erdig.
    »Vertrauen? Dir?«, fragte er und bemerkte, dass sie gleich groß waren. »Ich kenne dich doch gar …« Er stutzte, blickte nach unten auf ihren Finger, der unverändert auf seiner Brust lag. Und ihn nicht durchbohrte. »Du kannst mich anfassen?« Erleichterung durchflutete ihn. Es war vorbei, alles vorbei! Er war wieder er selbst! »Mann!«, er lachte auf, »ich bin wieder normal. Und ich dachte schon, dass ich völlig verrückt geworden bin.«
    Lith nahm die Hand weg. Ihr Gesicht war ernst, unangenehm berührt sah sie zur Seite. Gab keinen Laut von sich.
    Die Stille verunsicherte Matteo. »Was ist?«
    »Komm mit«, forderte sie ihn auf und lief zur Tür.
    »Wohin?«
    »Zu einem Spiegel. Den gibt es hier doch irgendwo.«
    »Schon. Auf der Toilette, aber … wieso?«
    »Damit du verstehst, was mit dir passiert ist!«, rief sie ungehalten.
    »Passiert?«, fragte Matteo noch, aber Lith riss schon die Tür auf und stob davon.

Zwei
    »Mädchen oder Jungenklo?«, fragte Matteo, als sie vor den beiden Türen standen.
    »Egal«, sagte Lith und entschied sich für die Mädchentoilette.
    Der Vorraum zu den Klos war leer, sie waren allein. Es war kühl und es roch ausnahmsweise einmal sauber. Offenbar hatte die Putzfrau vor kurzem gewütet. Das Neonlicht flackerte. Mal strahlte es hell, Sekunden später geisterten schwarze Schatten über die Wände. Am liebsten hätte Matteo wieder umgedreht, ihm graute vor der Wahrheit.
    Bevor er sich aus dem Staub machen konnte, schob Lith ihn vor den Spiegel. »Was siehst du?«
    Matteo hielt die Augen krampfhaft geschlossen. Er wusste, was er sehen würde. Normalerweise. Einen ein Meter siebzig großen Jungen mit gebräunter Haut, schmalen Schultern und schlanker Figur. Stahlgraue Augen und dichte Augenbrauen. Eine kleine Nase mit eckiger Spitze. Dann den breiten Mund, geschwungene Lippen, beginnender Bartwuchs an Kinn und Unterkiefer - leider viel zu spärlich, um sich zu rasieren. Seine braunen Haare, in die sich jetzt nach dem Sommer ein paar blonde Strähnen eingeschlichen hatten. Kurz: ein rundum passables Bild. Er war zufrieden mit seinem Aussehen und die schmachtenden Blicke etlicher Mädchen bestätigten tagtäglich dieses Gefühl.
    »Nun schau schon hin«, zischte Lith.
    Matteo hob den Blick. Starrte in den Spiegel und auf die gelben Fliesen der gegenüberliegenden Wand.
    Was er sehen sollte, war nicht da. Er war nicht da. Zumindest nicht im Spiegel.
    Er zuckte mit den Schultern. »Was soll da groß sein? Alles wie immer.«
    »Du lügst!«, rief sie zornig. »Warum? Glaubst du, das ändert was?«
    Matteo lehnte sich gegen die Wand und stierte zu Boden. Ihm war kalt, fröstelnd rieb er sich über die bloßen Unterarme. »Und du redest die ganze Zeit und sagst doch nichts.«
    Lith blieb die Antwort schuldig und Matteo sah auf. Sie hatte sich abgewandt. Die Lider gesenkt, schien sie intensiv nachzudenken. Sie wirkte plötzlich älter als vorhin in der Klasse. Erwachsener.
    »Also«, flüsterte Matteo, »was ist mit mir los? Wer bist du? Woher kommst du? Was ist eine Squirra? Und was ist Jandur?«
    Ein Grinsen huschte über ihre

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