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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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war auf seinen Schoß gekrochen, immer noch dünn und blass, leicht wie ein mit Daunen gefülltes Kissen. «Ich hab es dir gesagt, Papa. Ich hab es dir immer gesagt, er tut keinem etwas. Bitte, Papa, wenn Mama heimkommt, will sie ihn bestimmt sofort besuchen. Und ich muss mich doch bei ihm bedanken. Wenn er nicht gekommen wäre   …» Dann die Tränen, das jämmerliche Schluchzen, von dem Jakobs Ohren zuschwollen. «Nimm mich mit, Papa, bitte.» Aber ihr Betteln half nichts.
    Später! Später vielleicht, wenn er es aushalten konnte, dem Bär in die Augen zu schauen, während sie in der Nähe war.
    Als sie gestern ins Haus gekommen waren, hatte Trude den Koffer abgestellt und gefragt: «Warum hast du ihn noch nicht heimgeholt?» Viel mehr hatte sie nicht gesagt, nur dass es ihr so weit gutginge. Dass sie sich eben in Zukunft ein bisschen vorsehen und regelmäßig ihre Medikamente nehmen müsse.
    Jetzt saß sie neben ihm, und sie sprachen nicht miteinander. Jakob konnte ihr das nicht erklären. Er hatte viele Fehler gemacht, und beim letzten hatte er sofort gewusst, dass es ein Fehler war. So wie er in all den Jahren gewusst hatte, dass man Lukka nicht trauen durfte.
    Erich Jensen war in den letzten Wochen so freundlich gewesen, so verständnisvoll und hilfsbereit.
    Als Ben von seinen Verletzungen genesen war, hatte sich die Frage gestellt, wohin mit ihm? Im Krankenhaus konnten sie ihn nicht behalten, sie brauchten das Bett. Und Erich hatte gesagt: «Jakob, du musst den ganzen Tag arbeiten. Du kannst ihn hier nicht alleine lassen. So gut geht es ihm noch lange nicht, dass er herumlaufen könnte. Denk an seine Gesundheit, Jakob. Stell dir nur vor, er stürzt da draußen und liegt hilflos im Feld.»
    Ben litt noch unter erheblichen Gleichgewichtsstörungen,das hatten die Ärzte Jakob bereits erklärt. Arbeiten musste Jakob zwar nicht mehr unbedingt, aber das mochte er Erich Jensen nicht auf die Nase binden. Theoretisch hätte er Ben auf seinen Streifzügen begleiten, für ihn kochen, ihn baden können, aber nur theoretisch. Und so hatte er zugestimmt. Erich hatte versprochen, ein nettes, freundliches Heim zu suchen und persönlich dafür zu sorgen, dass Ben genügend frische Luft bekam. Aber als Erich ihn erst mal in seinen Klauen hatte   …
    Zuerst war es wirklich ein nettes Haus gewesen. Jakob hatte sich davon überzeugt. Eine sogenannte offene Wohngruppe in heller, freundlicher Umgebung, fünf Männer, von denen sich drei alleine versorgen konnten und ein Auge auf ihre Hausgenossen hielten, wenn der Betreuer nicht da war, der kam immer nur tagsüber. Jakob hatte sofort gedacht, dass die Männer mit Ben ein bisschen überfordert seien. Er hatte das auch zu bedenken gegeben, aber Erich hatte abgewinkt. Es war gekommen, wie es kommen musste, dreimal war Ben entwischt. Und dann hieß es eben, das sei doch nicht der richtige Platz für ihn. Ehe Jakob etwas unternehmen konnte, hatte Erich bereits einen Amtsrichter eingeschaltet.
    Trude erstarrte förmlich, als sie ihr Ziel erreichten. Sie stieg aus, Jakob ging hinter ihr her auf das Tor in der Mauer zu. Er war schon einmal hier gewesen und wusste, was sie erwartete. Hinter dem Tor nur ein bisschen Gras, ein paar Bäume. Gitter vor den Fenstern. Auch innen so viele Gitter, dass sich Jakobs Magen zusammenschnürte.
    Die Abteilung für die schweren Fälle lag im zweiten Stock. Ein paar Gestalten liefen über den langen Flur, wüst und zerzaust. Die Blödheit tropfte ihnen aus den Mündern. Trudes Gesicht wurde zu Stein. Im Geist sah sie den breiten Rücken im karierten Hemd, wie er quer durch Bruno Kleus Rüben zum Bruch lief.
    Ben war nicht auf dem Flur, er lag im Bett. Trudes Gesicht hellte sich für Sekunden auf, dann versteinerte sich ihre Miene wieder. Mit breiten Lederstreifen hatten sie ihn festgebunden. Sein Haar stand ihm in Stoppeln vom Kopf ab, sein Gesicht war aufgeschwemmt, irgendwie fett geworden. Er schlief.
    Jakob warf nur einen kurzen Blick über Trudes Schulter, räusperte sich verhalten und erklärte: «Ich seh mal zu, dass ich den Arzt auftreibe. Da kläre ich gleich, wann wir ihn abholen können.»
    «Wir nehmen ihn sofort mit», sagte Trude. «Hier bleibt er keine Stunde länger.»
    Aber so einfach war das nicht. Es gab diese richterliche Verfügung, inzwischen hatten auch die Ärzte einen Eindruck gewonnen. Ben wurde als gewalttätig beurteilt. Man musste ihn ständig ruhigstellen. Zweimal hatte man es gewagt, ihn auf den Flur zu lassen. Da hatte er

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