Der Q-Faktor
man es mit den eigenen Händen nur machen kann, als Beweis des Wunsches, für die erwählte Traube, in die man hineingewählt werden will, so schön und fleißig wie nur möglich zu sein, oder man kommt mit dem unverhüllten Körper in dem Empfinden, daß nichts Menschengemachtes so schön sein kann wie der einem bei der Ge burt geschenkte Leib. Man näht also ein Festgewand für die Auswahl zu Ehren der Traube, der man angehören möchte, um zu zeigen, daß man die Gelegenheit so wichtig nimmt, wie es einer solchen Wende im Leben gebührt. Oder man macht keines und läßt den Körper für sich sprechen. Beides hat seine Vorzüge, und sollte ich eines Tages einer anderen Traube angehören wollen – was ich mir nicht recht vorstellen kann, aber gesetzt den Fall – dann weiß ich nicht, wie ich mich entscheiden würde. Ich müßte sehr intensiv darüber nachdenken.
Die Frau Ledyce aber hat einen anderen Weg eingeschlagen. Sie hat ein Gewand gekauft, um sich herauszuputzen. Sie hat keine Zeit für die Handarbeit aufgebracht, und so bedeutete das Kleid ihr nicht mehr als irgendein Fetzen, den sie für eine Party oder für ein geselliges Beisammensein angezogen hätte. Sie suchte das Kleid aus, um ihrer eigenen Eitelkeit zu dienen, nicht um unsere Augen zu erfreuen.
Wir alle vernahmen Patricks Ermahnung vom Rand der Wildnis aus, als wir mit der Wahl begannen. Es fällt mir noch immer schwer, die Gedankenstimmen der anderen zu unterscheiden und zu verstehen, wenn sie nicht aus nächster Nähe kommen, aber Patrick erkenne ich immer. Das ist seltsam, wie man die Kehlstimme nur hören kann; die Gedankenstimme verbindet dagegen ein bestimmtes Aussehen und einen eigenen Geschmack, und ich habe gehört, daß manche Leute ihren Gedankenstimmen sogar einen Duft verleihen können, obgleich ich niemand mit solchen Fähigkeiten persönlich kenne. Patrick war viel zu weit entfernt, als daß ich Einzelheiten seiner Ratschläge an die anderen mit besseren Psi-Kräften hätte vernehmen können, und das frustrierte mich sehr, aber ich konnte die anderen doch nicht laut fragen! Sally vernahm meine Wünsche, und ihre Schelte über meine schlechten Manieren zuckte wie Blitze durch meinen Kopf. Später erklärte sie mir allerdings Patricks Rede, wonach seine ganze Aufmerksamkeit für die Begleitung von Anne-Charlotte nötig war und sie allein weitermachen und ihre Entscheidung ohne ihn und Anne-Charlotte treffen sollten.
Wir waren alle im Aschram und trugen zu Ehren des Ereignisses unsere besten Kleider; ich kam mir fast hübsch vor, was ich wirklich nicht bin. Ich hatte eine neue Tunika an, und Mark hatte mir aus den Kernen unserer Trek-Äpfel eine wunderbare Kette geschnitzt. Jede Kugel hatte ein anderes Muster, ein wogendes und verschlungenes Relief, das mich in Blütenknospen oder Dreidims von irdischen Meeren erinnert. Mark kann die herrlichsten Sachen machen, und dabei ist er erst dreizehn. Wenn er erst erwachsen ist, ist er zu Großem berufen, und wir setzen hohe Hoffnungen in ihn. (Und ich sollte nicht damit angeben, wie ich aussah, sondern von den Ereignissen berichten – was ist mit mir heute nur los?)
Jan und Freya begrüßten die Frau Ledyce mit einer Umarmung und gaben ihr einen Becher unseres aus Kakteen selbstgebrauten Weins. Dann geleiteten sie sie zum Ehrenplatz im Mittelpunkt des Raums, boten ihr einen Sitz an, und damit begann das Auswahltreffen.
„Ziehst du normale Sprache vor, Ledyce-die-zu-uns-zur-Erwählung-kam, oder ist dir Gedankensprache lieber?“ erkundigte sich Jan zuerst.
„Normale Sprache“, gab sie sofort zurück, „damit alle es verstehen.“
Darüber war ich froh, denn sonst hätte ich die Gespräche nicht so gut verfolgen können.
„Und warum bist du nach Chrysanthemenbrück gekommen?“ fragte Freya.
Die Frau biß sich auf die Lippen, und wir konnten sehen, daß sie nervös war, doch gebührte es niemandem, sich während einer Wahl einzumischen. Die sich zu einer Wahl stellen, müssen allein fertig werden und müssen selbst ihre Vorzüge ins rechte Licht setzen, die die Traube zu einer Aufnahme bewegen sollen. Und so warteten wir alle, bis Ledyce ihr Zittern unter Kontrol le hatte und zu sprechen begann.
„Ich wurde von drei Trauben zurückgewiesen“, sag te sie traurig. „Jede fand mich unzureichend und schickte mich weg. Ich habe kein Vertrauen mehr zu meiner Begründung, warum ich euch angehören will.“
„Dann solltest du vielleicht ihr Urteil akzeptieren“, gab Jan zu bedenken,
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