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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Schlüsselbund aus der Tasche, schloß die Tür auf, und Rabbi wie Hund traten hinter ihm ins Haus, ohne erst eine Einladung abzuwarten. Das Wohnzimmer war geräumig und gemütlich eingerichtet, wirkte aber mit seinen Geweihen über dem großen gemauerten Kamin und dem verglasten Gewehrschrank eher wie das Innere einer Jagdhütte.
    »Trinken Sie etwas?« fragte Dick. »Mit Ihnen gern«, sagte Michael. »Und ob ich trinken werde! Man hat mir gesagt, daß ein gelegentlicher Schnaps meinen Nerven guttut. Es ist Bourbon. Wasser dazu?«
    »Gern.«
    Sie gossen es hinunter und saßen dann schweigend, die geleerten Gläser in der Hand, bis Dick sie nachgefüllt hatte.
    »Wollen Sie sich's von der Seele reden?«
    »Wenn ich das gewollt hätte, dann wäre ich, verdammt noch mal, längst schon zu Ihnen gekommen. Haben Sie sich das nicht denken können?«
    »Doch, doch, natürlich.« Er erhob sich. »Nun, dann ist es wohl besser, ich gehe jetzt. Und danke für den Schnaps.«
    Aber an der Tür rief ihn Dick zurück. »Es tut mir leid, Rabbi. Bleiben Sie doch da.«
    Michael kehrte um und nahm Platz. Der Hund machte sich's leise ächzend zu Füßen seines Herrn bequem. Michael griff nach seinem Glas und tat einen langen Zug. Dann, nach einer kleinen Pause, begann Dick Kramer zu reden.
    Als er geendigt hatte, schwiegen sie wieder eine Weile. »Warum sind Sie denn nicht zu mir gekommen?« fragte Michael schlicht.
     
    »Sie hatten mir nichts zu geben«, sagte Dick. »Zumindest nicht das, was ich suchte. Billy Joe schon. Und eine Zeitlang schien es auch, als hätte er Erfolg gehabt. Und ich hätte einfach alles für ihn getan, wenn es wahr gewesen wäre.«
    »Wenn Sie mich fragen, so sollten Sie jetzt schleunigst wieder zu Ihrem Arzt gehen«, sagte Michael. »Das ist wohl das wichtigste.« »Und nicht zu Billy Joe Raye. Sie raten mir davon ab?«
    »Das müssen Sie schon mit sich selbst abmachen«, sagte Michael.
    »Wissen Sie, wenn ich wirklich an ihn hätte glauben können, dann, glaube ich, hätte ich's geschafft. Aber meine jüdische Skepsis hat das nicht zugelassen.« Dick Kramer lächelte traurig.
    »Schieben Sie nicht die Schuld auf Ihr Judentum. Die Wunderheilung ist ein altes jüdisches Konzept. Auch Christus gehörte zu den Essenern, das waren jüdische Heilige, die ihr Leben dem Heilen menschlicher Leiden verschrieben hatten. Und noch vor ein paar Jahren haben kranke Juden in Europa und Asien alle möglichen Reisestrapazen auf sich genommen, nur um von einem Wunderrabbi berührt zu werden, dem Heilkraft nachgerühmt wurde.« Kramer griff nach Michaels Rechter, die das Glas umfaßt hielt. Er hob sie empor und musterte sie. »Berühren Sie mich«, sagte er. Aber Michael wehrte ab. »Bei mir funktioniert das leider nicht«, sagte er. »Ich habe keinen heißen Draht zu Gott.«
    Der Junge lachte und schob die Hand des Rabbi von sich, wobei etwas von dem Glasinhalt über den Rand spritzte.
    »Und wie sonst können Sie mir helfen?«
    »Sie müßten versuchen, keine Angst zu haben.«
     
    »Es ist mehr als Angst. Zugegeben, ich habe Angst. Aber weit mehr ist es das Wissen um all das, was ich nie werde tun können. Ich habe noch nie eine Frau gehabt, habe noch nie eine große Reise gemacht. Ich habe der Welt noch nichts zu hinterlassen, nichts getan, was die Welt besser gemacht hätte, als sie vor meiner Zeit gewesen ist.«
    Michael suchte nach einer Antwort und bedauerte, getrunken zu haben.
    »Haben Sie jemals für einen Menschen Liebe empfunden?«
    »Gewiß.«
    »So haben Sie das Gute vermehrt in der Welt, und zwar um Unermeßliches. Und was die Abenteuer betrifft - wenn das, wovor Sie Angst haben, wahr ist, dann werden Sie bald das größte Abenteuer erleben, das dem Menschen bevorsteht.«
    Dick schloß die Augen.
    Michael dachte daran, daß heute sein Hochzeitstag war und daß Leslie zu Hause auf ihn wartete. Aber er konnte nicht aufstehen. Er ertappte sich beim Studium all der Gewehre in dem Waffenschrank und besonders des einen, das in der Kaminecke lehnte und dem ein fettiger Putzlappen aus der einen Mündung heraussah. Plötzlich fiel ihm die Nacht in Miami Beach wieder ein und die deutsche Armeepistole in der Hand des kleinen verzweifelten Mannes. Aber als er aufsah, begegnete er den Augen des lächelnden Dick.
    »So nicht«, sagte er.
    »Das glaube ich Ihnen«, sagte Michael.
    »Da muß ich Ihnen etwas erzählen«, sagte Dick. »Vor zwei Jahren sollte ich hinunter ins Sumpfgebiet, mit einer Handvoll Burschen, die da unten

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