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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sagte Michael. »Ich danke Ihnen.«
    »Neulich habe ich da einen Ihrer jungen Freunde auf der Straße getroffen, den jungen Richard - wie heißt er nur gleich?« »Kramer?«
    »Genau den. Er hat mir gesagt, daß er nicht mehr zu mir kommen möchte. Sie hätten ein langes Gespräch mit ihm geführt.« »Stimmt.«
    »Ein netter, sauberer Bursche. Schade um ihn.« Kopfschüttelnd blickte er vor sich hin. »Natürlich liegt mir daran, daß Sie nicht etwa glauben, ich hätte ihn zu meinen Meetings gelockt. Ich hab ihn zum erstenmal gesehen, als er zu mir ins Zelt kam.«
    »Das ist mir bekannt«, sagte Michael.
    »Natürlich. Der Himmel sei mein Zeuge, daß Leute wie Sie und ich gerade genug zu tun und es nicht nötig haben, einander was wegzuschnappen. Wie zwei hühnerzüchtende Nigger.« Er lachte vor sich hin, und auch Michael lächelte bedächtig, als er ihn zur Tür geleitete.
    Drei volle Wochen vergingen, bevor er sich wieder überwand, an die Ehrenplaketten zu denken. Innerhalb der nächsten zehn Tage schrieb er drei Fassungen seiner Verleihungsansprache. Es ging ihm nur langsam und schwer von der Hand, und jeden dieser Entwürfe zerriß er schließlich und warf ihn weg.
    Zwei Tage vor dem Festmahl setzte er sich hin und schrieb die Rede rasch und fast ohne Korrekturen nieder. Kurz, aber treffend, dachte er, während er sie las. Und außerdem wahr, erkannte er mit einem plötzlichen Gefühl der Beklemmung.
    Nachdem die Dessertteller und Kaffeetassen weggeschoben waren, erhob sich Michael und begrüßte die Anwesenden - die Mitglieder seiner Synagoge und die zu Ehrenden, die prominenten Christen, am Kopfende der Tafel.
    »Wenn ein Geistlicher neu in eine fremde Stadt kommt, so macht er sich Sorgen über das religiöse Klima. Und ich muß zugeben, daß auch ich mir Sorgen gemacht habe, als ich hierher nach Cypress kam. Was habe ich hier angetroffen? Ich habe eine Gemeinde vorgefunden, in der die verschiedenen Bekenntnisse einander in bemerkenswert zivilisierten Formen gegenüberstehen.«
    Richter Boswell blickte auf Nance Grant, lächelte und nickte. »Ich habe eine Gemeinde vorgefunden, in der die Baptisten den Juden ihr Gotteshaus zur Verfügung stellen und die Methodisten Eintrittskarten für die geselligen Veranstaltungen der Baptisten kaufen.
    Ich habe eine Gemeinde vorgefunden, in der die Anhänger der Episkopalkirche die Kongregationalisten respektieren und Lutheraner mit Presbyterianern friedlich zusammenarbeiten.
    Eine Gemeinde, die den Sabbat achtet und ihm einen hohen Wert zuerkennt. Eine Gemeinde, die jedermann dazu ermutigt, in seiner eigenen Art Gott zu dienen.«
    Richter Boswell zog die Brauen hoch, nickte Dave Schoenfeld besinnlich und voll Anerkennung zu und schob die Unterlippe etwas vor, wie er im Gerichtssaal zu tun pflegte, wenn er dem Wahrspruch der Geschworenen lauschte.
    »Ich habe in Cypress eine Gemeinde angetroffen, in der die Gefühle der Brüderlichkeit nicht haltmachen an den Grenzen der verschiedenen Glaubensbekenntnisse, sondern frei dahinströrnen wie frisches, gottgegebenes Wasser, dem Menschenwerk verbindende Kanäle geschaffen hat«, sagte Michael.
    »Doch ich fand noch etwas sehr Merkwürdiges.
    Dieses Gefühl der Brüderlichkeit, hinströmend durch ober-und unterirdische Kanäle, verbindet an die sechzig Prozent der Bevölkerung dieser Gemeinde.«
    Richter Boswell hatte lächelnd ein Wasserglas an die Lippen gehoben. Als er es wieder hinstellte, war das Lächeln noch auf seinem Gesicht, wie aufgemalt. Es welkte langsam dahin, einer sich schließenden Blume gleich.
    » In Cypress ist das Gefühl der Brüderlichkeit wie eine trennscharfe chemische Substanz: es löst sich in nichts auf, wenn es mit einer farbigen Haut in Berührung kommt«, sagte Michael. »Dies wäre also mein Eindruck von dem Makrokosmos dieses Gemeinwesens.
    Der Mikrokosmos besteht für mich aus meiner eigenen Gemeinde, mit der ich vertraut bin. So laßt uns also die dreiundfünfzig Familien betrachten, die dem Tempel Sinai von Cypress, Georgia, angehören.
    Drei Mitglieder dieser Gemeinde sind Eigentümer von Geschäften, in denen an Männer, Frauen oder Kinder, deren Haut nicht weißer ist als die Haut vom Weib des Moses war, weder Speise noch Trank verkauft wird.
    Zwei Mitglieder dieser Gemeinde sind Eigentümer von Geschäften, in denen farbigen Personen weder Herberge noch Unterkunft gewährt wird.
    Mehrere Mitglieder unserer Gemeinde verkaufen an Neger minderwertige Ware auf Kredit, nach einem Ratensystem,

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