Der Rabbi
hinzufliegen«, sagte Michael.
In der Nacht seiner Rückkehr aus Los Angeles betrat er das Haus leise, in der Erwartung, sie schliefe schon. Sie lag jedoch auf dem Sofa und sah dem Spätabend-Programm zu.
»Nun?« fragte sie.
»Es wären um tausend Dollar weniger, als ich jetzt verdiene. Vertrag nur für ein Jahr.«
»Aber du kannst die Berufung bekommen, wenn du sie willst?«
»Sie würden die übliche Gastpredigt verlangen. Aber ich könnte die Berufung bekommen, wenn ich will.«
»Und, was wirst du tun?«
»Was möchtest denn du, daß ich tun soll?« fragte er.
»Das mußt du selbst entscheiden«, sagte sie.
»Du weißt, wie es Rabbinern ergeht, die eine Reihe kurzfristiger Verträge hinter sich haben? Man fängt an, sie herumzustoßen. Nur die problematischen Gemeinden ziehen sie mehr in Betracht, und mit den Mindestbezügen. So wie in Cypress, Georgia.«
Sie schwieg.
»Ich habe schon zugesagt.«
Sie wandte plötzlich ihr Gesicht ab, so daß er nur mehr ihren Hinterkopf sehen konnte. Seine Hand berührte ihr Haar.
»Was ist los?« fragte er.
»Hast du Angst vor einer neuen Schar von Weibern? Vor den jentes?«
»Zum Teufel mit den jentes«, sagte sie. »Es wird immer Leute geben, für die wir beide ein Greuel sind. Die zählen nicht.« Sie wandte sich schnell ihm zu und umarmte ihn. »Nur eines zählt: daß du mehr tun wirst, als bloß eine fette Jahresrente einzustreifen und daß du nicht mehr nur dem Namen nach Rabbiner sein wirst. Du kannst mehr als das - du weißt es doch.«
Er spürte ihre nasse Wange an seinem Hals, und Staunen erfüllte ihn.
»Du bist der bessere Teil meiner selbst«, sagte er. »Mein Bestes bist du.«
Seine Umarmung, die sie zunächst nur davor bewahren sollte, von dem schmalen Sofa hinunterzufallen, wurde enger.
Ihre Finger verschlossen ihm die Lippen.
»Nur eines zählt: daß du tust, was du wirklich tun willst.«
»Ich will«, sagte er, sie berührend.
»Ich spreche von Pennsylvania«, sagte sie nach kurzem Schweigen, aber schon überließ sie sich seinen Armen und hob ihr Gesicht voll Erwartung ihm entgegen.
Später, im Bett, berührte sie ihn an der Schulter, während er schon im Einschlafen war.
»Hast du ihnen von mir erzählt?« fragte sie. »Was meinst du?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Ach so.« Er blickte empor ins freundliche Dunkel ihres Zimmers. »Ja, ich hab es ihnen erzählt.«
»Dann ist's gut. Gute Nacht, Michael.« »Gute Nacht«, sagte er.
37
Er fuhr allein nach Wyndham, um seine Gastpredigt zu halten, und das Empfangskomitee, das ihn vom Bahnhof abholte und vor dem Gottesdienst zum Abendessen in Dr. Sommers' Haus brachte, gefiel ihm. Die Stadt war klein und, wie die meisten Universitätsstädte, von trügerischer Ruhe erfüllt, wenn man sie vom Auto aus sah. Es gab vier Buchhandlungen, eine grüne Plakatwand inmitten des Hauptplatzes, auf der die Konzerte und Ausstellungen in der Umgebung angezeigt waren, und überall sah man junge Leute. Die Luft knisterte von herbstlicher Kälte und der Vitalität der Studenten. Der Teich im Universitätsgelände trug eine dünne Eisschicht. Die majestätischen Bäume mit ihren schon kahlen Ästen waren nackt und schön.
Beim Abendessen setzten ihm die leitenden Herren der Gemeinde mit Fragen zu und wollten vielerlei über den geplanten Neubau wissen. In den langen Wochen einsamer Studien hatte er sich mehr an Wissen angeeignet, als er nun verwenden konnte, und die unverhohlene Bewunderung der Herren machte, daß Michael das Essen voll Selbstvertrauen verließ und alle Voraussetzungen für eine blendende Predigt mitbrachte. Er sprach darüber, wie eine alte Religion all die Dinge überdauern könne, die in der Welt am Werk waren, sie zu vernichten.
Als er Wyndham am folgenden Nachmittag verließ, wußte er, daß die Berufung ihm sicher war, und als sie kaum eine Woche später tatsächlich eintraf, war er nicht verwundert.
Im Februar flogen er, Leslie und das Baby für fünf Tage nach Wyndham. Den Großteil der Zeit verbrachten sie mit Gebäudemaklern. Am vierten Tag fanden sie ein Haus, einen schwarzroten Ziegelbau im Kolonialstil mit restauriertem grauem Schieferdach. Der Agent sagte, es wäre in ihrer Preislage, weil die meisten Leute mehr als zwei Schlafzimmer haben wollten. Es hatte auch noch andere Nachteile: die Räume waren hoch und schwer sauberzuhalten. Es gab weder Müllschlucker noch Geschirrspülmaschine, wie sie in ihrem Haus in San Francisco vorhanden gewesen waren. Die
Weitere Kostenlose Bücher