Der Rabbi
angesehen?«
»Achtundzwanzig. Meine Güte! «
»Na also. Und wann hören wir damit auf und überlegen, was sich daraus machen läßt?«
»Deshalb rufe ich Sie an«, sagte Sommers. »Wir haben mit dem Architekten gesprochen, der den Tempel in Pittsburgh gebaut hat.
Paolo Di Napoli heißt er. Wir glauben, daß er eine wirkliche Größe ist. Sie sollten hinfahren und sich seine Entwürfe ansehen.«
»Gemacht«, sagte Michael. »Setzen Sie den Tag fest.«
»Das ist es ja. Er hat nur an zwei Tagen Zeit. Morgen oder erst am nächsten Sonntag.«
»Beides nicht günstig für mich«, sagte Michael. »Wir müssen einen anderen Tag finden.«
»Aber das ist es ja, sag ich. Er fährt nach Europa und bleibt drei Monate drüben.«
»Nächsten Sonntag hab ich eine Trauung«, überlegte Michael. »Und morgen -« Er seufzte. »Na schön, machen Sie's für morgen fix«, sagte er. Sie verabschiedeten sich, und dann ging Michael zu Leslie, um ihr zu eröffnen, daß ihr Urlaub geplatzt war.
Am Morgen des nächsten Tages fuhr er mit Felix Sommers nach Philadelphia. Da sie zeitig aufgebrochen waren, frühstückten sie unterwegs.
»Was mich stört, ist die Tatsache, daß Di Napoli kein Jude ist«, sagte Michael, als sie in dem Restaurant saßen.
Wortlos brach Sommers seine Semmel auseinander, dann meinte er:
»Daß gerade S i e das sagen.«
Aber Michael gab nicht nach. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Christ das richtige Gefühl für den Entwurf eines Tempels aufbringt. Er kann sich nicht hineindenken, hat keine Beziehung dazu. Dem Ganzen wird das fehlen, was mein Großvater den jiddischen kwetsch genannt hat.«
»Was ist denn d a s wieder, der jiddische kwetsch?« »Haben Sie Perry Como jemals Eli, Eli singen gehört?« Sommers nickte.
»Und wissen Sie auch noch, wie Al Jolson es gesungen hat?« »Was weiter?«
»Sehen Sie, der Unterschied - das ist der jiddische kwetsch.« »Wenn Paolo Di Napoli den Auftrag übernimmt, kommt etwas Besseres dabei heraus als bei so manchem jüdischen Architekten. Ein großer Mann, sag ich Ihnen.«
»Man wird sehen«, erwiderte Michael.
Aber als sie in Di Napolis Büro standen, war es Sympathie auf den ersten Blick. Er wirkte nicht im mindesten arrogant, obwohl er seine Blätter ohne viel Erläuterungen zeigte. Er saß ganz ruhig da, sog an seiner kurzen Bruyere-Pfeife und beobachtete die beiden, wie sie sich über die Entwürfe beugten. Er hatte kräftige Handgelenke, melancholische braune Augen unter dichtem grauem Haar, und auf seiner Oberlippe sträubte sich ein buschiger Schnurrbart - ein Schnurrbart, so schien es Michael, der allein schon seinem Träger in jedem Beruf Bedeutung verliehen hätte. Beim Durchblättern der Arbeiten fanden sich vier wirklich außergewöhnliche Tempelentwürfe, weiters ein Halbdutzend Kirchen sowie ein bezaubernder Entwurf für die Kinderbücherei einer Stadt des Mittelwestens. All das gingen die beiden durch und verweilten schließlich über den Tempelskizzen.
Auf jedem der Tempelpläne war im Osten, der Tempelfassade gegenüber, eine winzige Sonne zu sehen.
»Wozu diese Sonnen?« fragte Michael.
»Eine private Marotte. Mein persönlicher Versuch, eine vage Verbindung herzustellen mit Zeiten, die lange tot sind.« »Können Sie uns das nicht näher erklären?« sagte Sommers. »Als der Tempel Salomonis vor einigen dreitausend Jahren auf dem Berge Moria gebaut wurde, war Jahve ein Sonnengott. Und der Tempel war so orientiert, daß die Strahlen der aufgehenden Sonne über den Gipfel des Olivenberges durch das Haupttor ins Innere fielen. Zweimal im Jahr, zu den Aequinoktien, konnte so die Sonne durch das Osttor direkt in den Tempel scheinen, bis an die westlichste Wand, ins Allerheiligste.«
Die Lippen unter dem buschigen Schnurrbart schürzten sich.
»Außerdem ergab sich die geostete Lage in diesen vier Fällen aus der Lage des Baugrunds. Ich bestehe aber nicht darauf, den Tempel zu osten, falls Ihr Grund das nicht zuläßt.«
»Mir gefällt der Gedanke«, sagte Michael. » >Tut auf eure Flügel, ihr Tore... O tuet sie auf, ihr ewigen Tore, auf daß der Herr einziehe durch euch in all seiner Herrlichkeit!<« Er wechselte einen Blick mit Sommers, wobei sie grinsten - Jiddischer kwetsch. »Haben Sie Ihre spezielle Wunschliste mit, um die ich Sie gebeten habe?« wandte sich Di Napoli an Sommers.
Sommers zog ein Blatt aus seiner Brieftasche. Der Architekt studierte es lange. »Manches davon läßt sich aus Gründen der Sparsamkeit
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