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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Brettern, die vernagelt und mit Teerpappe überzogen waren. Michaels Feldbett stand in einer Ecke, in der es außerdem noch ein riesiges Spinnennetz gab; in seiner Mitte saß, wie ein schimmernder Edelstein, eine große blau und orange gefleckte Spinne mit haarigen Beinen.
     
    Michael bekam eine Gänsehaut. Er blickte um sich nach einem Gegenstand, mit dem er das Ungeheuer hätte erschlagen können, aber er fand nichts Geeignetes.
    Die Spinne rührte sich nicht. »Gut«, sagte er zu ihr. »Tu mir nichts, dann tu ich dir auch nichts.«
    »Mensch, mit wem redest du denn?«
    Michael drehte sich um und sah den anderen mit dummem Grinsen an. Der Bursche stand in der Tür und musterte den Neuen mißtrauisch. Sein blondes Haar war auf Bürste geschnitten und seine Haut fast so braun wie die von Abe Kind. Er trug Jeans und Tennisschuhe, und ein Trikothemd mit dem Aufdruck YALE in großen blauen Lettern quer über die Brust.
    »Mir der Spinne«, sagte Michael.
    Der andere verstand nicht recht, aber Michael war der Meinung, die Geschichte würde nur noch lächerlicher klingen, je mehr er zu erklären versuchte. Der Bursche gehörte zu den Leuten, die einem die Hand schütteln, und er tat es ausführlich, während er sich vorstellte. »AI Jenkins. Hast du was zu essen?« Michael hatte einen Schokoladeriegel aufgespart, den schenkte er Al in einem Anfall von Kameradschaftsgeist. Al ließ sich auf Michaels Matratze fallen und stopfte die Hälfte der Schokolade in den Mund, nachdem er die Verpackung unter das Feldbett geschmissen hatte.
    »Gehst du noch in die Schule?« fragte er.
    » Im Herbst fange ich an der Columbia an. Und du, wieviel Semester Yale hast du schon?«
     
    Al räusperte sich. »Ich komm doch gar nicht von Yale. Ich geh an die Northeastern, Boston.«
    »Warum trägst du dann das Yale-Hemd?« »Das ist Ivy-League-Tarnung. Für die Weiber.«
    »Für die Weiber?«
    »Ja, für die studierten Gänse, die lieben Kolleginnen. Du arbeitest wohl zum erstenmal in einem Urlaubsort?«
    Michael mußte das zugeben.
    »Du wirst noch viel lernen müssen, mein Bester.« Er verzehrte den Rest der Schokolade, dann, plötzlich sich erinnernd, setzte er sich auf Michaels Bett auf und fragte:
    »Hast du wirklich mit der verdammten Spinne geredet?«
    Die Küchenhelfer mußten morgens um 5 Uhr 3o aufstehen. In der Baracke schliefen zwanzig Mann. Die Busboys und Strandboys, deren Dienst erst viel später begann, schimpften und fluchten weidlich über dieses vorzeitige Wecken, und nach ein paar Tagen taten sich die Küchenhelfer keinen Zwang mehr an und fluchten ihrerseits.
    Der Chef war ein großer, magerer Mann, der Mister Bousquet genannt wurde. Seinen Vornamen bekam Michael nie zu hören, und es fiel ihm auch nicht ein, danach zu fragen. Mister Bousquet hatte ein längliches Gesicht mit verschleierten Augen und starren Zügen, seine einzige Beschäftigung war es, zu kosten und mit teilnahmslos monotoner Stimme sparsame Anweisungen zu geben.
    Am ersten Morgen wurden sie in der Küche vom Personalchef des Hotels in Empfang genommen. Michael wurde einem Koreaner undefinierbaren Alters weitergereicht, der sich als Bobby Lee vorstellte.
    »Ich bin Küchenmeister«, sagte er. »Du bist Küchenboy.« Auf dem Tisch standen drei Kisten voll Orangen. Bobby Lee reichte Michael ein Brecheisen und ein Messer. Er öffnete die Kisten und halbierte die Orangen, bis drei große irdene Bottiche voll waren.
    Zu seiner Erleichterung stellte Michael fest, daß die Saftpresse automatisch war. Er hielt eine Orangenhälfte an den rotierenden Bolzen, bis nichts mehr drinnen war als weiße Haut, dann warf er die Schale in einen Korb und griff nach der nächsten Orangenhälfte. Nach einer Stunde preßte er noch immer Orangen aus. Seine Armmuskeln waren verkrampft und seine Finger so steif, daß er glaubte, er werde diese Handhaltung nie mehr loswerden: eine Geste, als wollte er mit der Rechten jedem Weib an die Brust greifen, das dumm genug wäre, ihm nahe zu kommen. Als der Orangensaft erledigt war, gab es Melonen zu schneiden und Grapefruits zu teilen, Dosen voll Kadota-Feigen zu öffnen und Servierwagen mit Eiswürfeln, Juice und Früchten zu bestücken. Als um halb acht die Köche erschienen, schnitten Bobby und Michael Gemüse für das Mittagessen.
    »Bei uns wird zeitig Frühstück gegessen«, sagte Bobby.
    Wenn er von der Arbeit aufsah, konnte Michael durch die Tür der Anrichtekammer die Kellnerinnen sehen, wie sie geschäftig zwischen Speisesaal und

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