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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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vergessen. Sie blickte ihm in die Augen und dann auf seine Bücher.
    »Was - ein Wunderkind?«
    Ihre Stimme klang belustigt. Sich zurücklehnend trachtete er, die Berührung zu vermeiden, wobei er den Umstand verwünschte, daß die Sprecherin nicht drei Jahre jünger war. Die Menge drängte und schob, aber das brachte die beiden dem Subway-Eingang nicht näher.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte er den nahenden Fifth-Avenue-Bus; er war nur mehr eine Straße entfernt. Michael stieß einen dicken bärtigen Jüngling zur Seite und rannte, den Bus zu erreichen und mit ihm bis zur 34th Street zu fahren, denn die dortige Subway-Station war sicherlich weniger überfüllt.
    Aber als er bei der 20th Street gewohnheitsmäßig zu den Kind Foundations hinaufsah, bemerkte er, daß die beiden straßenseitigen Fenster beleuchtet waren. Das konnte nur bedeuten, daß sein Vater noch arbeitete. Blitzartig griff er nach der Signalschnur, froh darüber, nun im Chevrolet nach Hause gebracht zu werden, anstatt sich auf der langen Subway-Fahrt die Füße in den Bauch stehen zu müssen.
    Im Haus herrschte drückende Hitze, so wie immer im Winter.
    Der Lift war außer Betrieb, und Michael langte schwitzend und mit trockenem Hals oben an, nachdem er die steilen Treppen zum vierten Stock erklommen hatte. Er stieß die Tür zu Kind Foundations auf, stand im Vorraum und sah seinen Vater auf Carla Salva liegen, nackt bis auf das Unterhemd, und auf jener abgenutzten Couch, die Michael jeden Samstagmorgen so fleißig absaugte. Der eine von Carlas langen, schmalen Füßen zerknüllte ihr Seidenhöschen auf dem Boden, der andere rieb sich zärtlich an seines Vaters Wade. Carlas Max-Factor-Mund war leicht geöffnet, ihre schmalen Nüstern dehnten sich, aber sie gab keinen Laut unter Vaters kraftvollen Stößen und hielt die Augen geschlossen. Als sie sie träge aufschlug, sah sie Michael vor sich und schrie auf.
    Der drehte sich herum und polterte den dunklen Gang zum Treppenhaus zurück. »Wer war das?« hörte er seinen Vater noch fragen. Und: »Oh, mein Gott!«
    Michael war schon im ersten Stock unten, als ihm sein Vater von oben nachrief: »Mike! Mike! Ich muß mit dir reden!« Aber Michael hastete weiter die Treppen hinunter, bis er die Hitze des Hauses hinter sich hatte und im eisigen Regen stand. Und dann rannte er: glitt auf der eisigen Fläche aus und lag da, während eine Taxihupe aufheulte und der Fahrer ihn im Südstaaten-Jargon verfluchte; kam wieder auf die Beine und rannte weiter, rannte, ohne sich um die Bücher und Hefte zu kümmern, die er liegenließ, wo sie lagen.
    Bei der 34th Street angekommen, fühlte er sich krank und taumelte völlig außer Atem auf den Subway-Eingang zu.
    An den Heimweg erinnerte er sich nicht mehr. Wußte nur, daß er im Bett lag. Seine Kehle war wie ein Reibeisen, in seinem Schädel pochte es, und sein Körper glühte vor Fieber. Er fühlte sich ausbrennen.
    Bald wird nur mehr meine Hülle da sein, dachte er.
    Manchmal zog Carla durch seine Träume, ihr halboffener Mund, so locker und so feucht, ihre genußvoll sich blähenden Nüstern. Und im Traum wußte er, daß dies die Wirklichkeit war, und er schämte sich ihrer im Traum.
    Manchmal zog auch die Obstfliege durch seine Träume, zeugend und sich vermehrend mit wunderbarer Leichtigkeit, weit wirksamer sich paarend als der Mensch, doch ohne jede Ekstase. Und manchmal war es wie Trommeln, und es schlug ihm das Trommelfell durch, wie er da lag auf dem heißen Kissen.
    Am zweiten Tag seiner Krankheit erwachte er zum Bewußtsein.
    Neben seinem Bett saß der Vater, bartstoppelig, ungekämmt.
    »Wie geht's dir?«
    »Besser«, sagte Michael heiser. Und hatte alles wieder vor Augen -
    nur unbeweglich, starr.
    Abe schielte zur Tür und befeuchtete sich die Lippen. Michael hörte seine Mutter in der Küche draußen das Geschirr abwaschen.
     
    »Da ist noch vieles, was du nicht verstehst, Michael.« »Geh und stemm weiter deine Hanteln.«
    Vor Heiserkeit klang seine Stimme tränenerstickt, und er war wütend darüber. Denn er kränkte sich nicht, er verspürte nur Haß, und der Vater sollte das wissen.
    »Du bist ein Kind, und ein Kind soll nicht richten. Ich war immer ein guter Vater und ein guter Ehemann - aber ich bin auch nur ein Mensch.«
    Michaels Schädel schmerzte, und sein Mund war trocken. »Sag mir nie mehr, was ich tun soll«, sagte er, » du nicht.«
    Der Vater beugte sich vor und sah ihn durchdringend an. »Du wirst mich schon noch verstehen, später, nach

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