Der Rabbi
Tränen lachen.
Am nächsten kamen sie einander durch die gemeinsamen Frei-tagabende. Kurz vor der bar-mizwe hatte Abe sich zu sorgen begonnen, ob sein Hebräisch auch noch gut genug sein würde, um ihn vor der Gemeinde eine gute Figur machen zu lassen. Deshalb besuchten sie auf seinen Vorschlag hin einen Freitagabend-Gottesdienst in der Sons of Jacob-Synagoge. Es dauerte nicht allzu lange, und Abe merkte überrascht, daß er sein Hebräisch seit der Kindheit recht gut behalten hatte. Am nächsten Freitag gingen sie wieder, und unversehens war es ihnen zur Gewohnheit geworden, gemeinsam dort zu stehen und den Sabbat zu grüßen.
Bald zählten die regelmäßigen Synagogenbesucher sie zu den Ihren, und Michael, neben seinem Vater stehend, war stolz auf ihn, diesen kräftigen, muskulösen Mann mit den freundlichen Augen, der das Lob Gottes sang.
Mit fünfzehn kam er an die Bronx High School of Science und nahm gern die allmorgendliche lange U-Bahn-Fahrt von Queens auf sich, in dem Bewußtsein, die beste Höhere Schule New Yorks zu besuchen. Aber seine erste Prüfungsarbeit machte ihm Sorgen.
Es war ein biologisches Thema über die immense Vermehrungsfähigkeit der Trypedita, jener Insektenfamilie, der auch die Obstfliege angehört. Da ihm die Leihbibliothek nicht genug Literatur zu diesem Thema bieten konnte, erwirkte sein Biologielehrer ihm die Spezialerlaubnis, die New Yorker Universitätsbibliothek zu benützen, und so fuhr er nun an mehreren Abenden der Woche mit der Subway nach Manhattan und machte dort umfangreiche Exzerpte, deren einige er sogar verstand.
Eines Abends, schon gehetzt von dem Bewußtsein, daß die Prü-
fungsarbeit in zehn Tagen fällig war, saß er an einem Tisch der New Yorker Universitätsbibliothek und arbeitete fieberhaft - fieberhaft im doppelten Wortsinn, denn er war abgespannt und fühlte eine Erkältung in sich stecken; seine Schläfen waren heiß, und er hatte Schluckbeschwerden. So saß er und schrieb sich alles Wichtige über die erstaunliche Vermehrungskraft der Obstfliege und ihrer Konkurrenten heraus:
»Nach Schätzungen von Hodge bringt die San-José-Fliege vier bis fünfhundert Junge hervor. Die Dobson-Fliege legt zweitausend bis dreitausend Eier. Staatenbildende Insekten sind besonders starke Eierleger. Die Bienenkönigin bringt es auf zwei bis dreitausend Eier pro Tag; die Ameisenkönigin kann pro Sekunde sechzig Eier legen, und das, bis es mehrere Millionen sind.«
Die Lektüre über all dieses Eierlegen begann ihm in die Lenden zu gehen, aber das einzige Mädchen in seinem Blickfeld hatte schadhafte Zähne und massenhaft Kopfschuppen auf ihrem unförmigen schwarzen Pullover. Ernüchtert schrieb er weiter:
»Herrick berichtet, daß ein Fliegenpaar, beginnend mit April, im August 91,010,000,000,000,000,000 hervorgebracht hat. Bliebe all diese Nachkommenschaft durch eine Laune der Natur am Leben, so würde diese Masse, pro Fliege nur zwei Kubikzentimeter gerechnet, die Erde dreizehn Meter hoch bedecken.«
Er stellte sich vor, wie das wäre: die ganze Erde dreizehn Meter hoch mit Fliegen bedeckt, ein einziges, ungeheures Gesumm, Befruchten und Paaren, auf daß diese Fliegenflut immer weiter steige. Paarten sich Fliegen überhaupt? Er brauchte ganze zwölf Minuten dazu, die Tatsache nachzuschlagen, daß die Weibchen Eier legen und die Männchen sie befruchten. Bedeutete solche Geschlechtlichkeit überhaupt Lust? War der Befruchtungsvorgang mit Vergnügen verbunden, oder war das Fliegenmännchen eben nur eine Art Sexuallieferant, der, wie der Milchmann, den regelmäßigen Zustelldienst besorgte? Er schlug im Stichwort-verzeichnis nach: erst unter Sex, dann unter Verkehr, dann unter Paarung, und schließlich, obwohl schon ohne viel Hoffnung, unter Lust. Aber nirgends wurde ihm Erleuchtung zuteil. immerhin war er damit bis zehn Uhr abends beschäftigt, bis zur Sperrstunde. Er stellte das Buch zurück und fuhr mit dem Lift hinunter.
Das Wetter war miserabel. Ein leichter Nieselregen hatte die schmutzigen Schneehaufen längs des Gehsteigs zu seichten Buckeln zusammengeschmolzen, schon mehr Matsch als Schnee.
Die Abendschulen leerten sich eben, und Michael wurde von der Menschenflut in Richtung zur Subway-Station gesaugt. Sie drängte und stieß sich vorwärts gegen den schmalen Eingang. Michael stand ziemlich am Rande, Brust an Brust mit einer hübschen Brünetten in braunem Wildledermantel und Barett. Der Reiz der Situation ließ ihn für den Moment seine Erkältung
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