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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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stumm das Papier und den Federkiel vor ihn hin. Ebenso stumm setzte der bleich gewordene Mann krakelig sein Zeichen auf das Blatt.
    Während sich der Wirt anschließend seinen Hals rieb, als hätte sich dort ein Strick zusammengezogen, rollte der Paffe das Dokument zusammen und ließ es zufrieden in den Falten seines Gewandes verschwinden. »Und nun, Wirt, noch einen Wein!«

II. TOD IN MÜNSTER
(1534)

Privatvorstellung
    Das Schafott war keine sechs Meter von uns entfernt, und wenn der leichte Wind in meine Richtung stand, konnte ich einen Hauch der Hitze aus den Kohlebecken spüren. Trotzdem war mir kalt, mein Schädel drohte zu platzen und ich fühlte mich insgesamt unwohl. Dabei konnte ich mir sicher sein, dass mich die meisten Anwesenden rasend beneideten. Schließlich war ich der Held des Tages, der Mann, der unserem hochwohlgeborenen Fürstbischof den Gefallen seines Lebens getan hatte. Und das war noch stark untertrieben.
    Ich klammerte meine Hände um den Becher mit dem leicht geharzten Glühwein und ließ meinen Blick unter gesenkten Lidern vorsichtig über die Runde schweifen. Alle, die momentan die Augen nicht auf die Plattform gerichtet hatten, musterten mich mehr oder minder offen. Wie gerne wären sie jetzt an meiner Stelle gewesen, wie sie mich hier so sahen. Und wie gerne wären sie am Ende der Welt gewesen, wenn sie gewusst hätten, was sich tatsächlich abgespielt hatte, und wie ich mich wirklich fühlte.
    Scheiß drauf. Ich hatte das Spiel nicht begonnen, aber ich würde es zu Ende führen. Schon allein deshalb, weil ich keine andere Möglichkeit hatte.
    Der dicke Franz links von mir nagte an einer Putenkeule. Mir sollte wegen meiner Verdienste ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit zuteil werden, quasi eine Adelung im Angesicht des Volkes. Deshalb saß ich rechts neben ihm. Aber der fette Sack hatte sich bestimmt so seine Gedanken gemacht. Er konnte, Gott sei Dank, nichts beweisen, war aber – zu Recht – voller Misstrauen, und deshalb hockte seine momentane Mätresse Nummer zwei zwischen uns, eine beständig affektiert kichernde Schlampe mit so viel Schminke im Gesicht, dass sie jedermann wie eine Kunstfigur aus einem venezianischen Comedia-Spektakel erscheinen musste. Ich wusste, dass der Geschmack des alten Ferkels grundsätzlich zu gut war, um sich angesichts seiner Position mit einem solchen Trostpreis abgeben zu müssen, egal, welche sexuellen Kunstfertigkeiten sie für diese Aufgabe prädestinieren mochten. Im Übrigen würde er sich auch nur höchst ungern den Zorn seiner Gespielin Nummer eins, Anna Pohlmann, zuziehen wollen. In der Zwickmühle, mich einerseits öffentlich belohnen zu müssen, mir andererseits meine monetäre Verfehlung nicht nachweisen zu können, wollte er mir in seiner bekannt delikaten Grausamkeit verdeutlichen, dass er sehr wohl bereit war, sich an die Spielregeln zu halten, dabei jedoch ahnte, was genau gelaufen war. Klar, dass der quallige Schuft mir liebend gern bei der heutigen Volksbelustigung die Hauptrolle verschafft hätte. Genauso klar, dass ich aufgrund der objektiven Sachlage gegenwärtig der Volkstribun war, dem man dankbar die Füße küssen musste.
    Ich wusste, dass er etwas vermutete. Deshalb saß ich jetzt zu seiner Rechten, um mich vor allen zu hofieren, und deshalb saß zwischen uns seine Metze, um mir zu zeigen, dass ich alle außer ihm an der Nase herumführen konnte.
    Scheiß auch da drauf. Allein die Tatsache, dass ich im Moment hier saß, garantierte mein Überleben für die kommenden Tage.
    Ich nahm einen weiteren Schluck vom würzigen, heißen Wein und blickte verstohlen durch meinen kondensierenden Atem nach links. Der Fettsack schäkerte mit den Leuten aus seiner nächsten Umgebung, gab sich bester Laune und tat so, als wäre ich sein bester Freund. Dabei machte er das alles so gekünstelt, dass ich genau wusste, das Schwein hatte mich ständig im Visier. Er würde sich nie die Blöße geben, irgendwann irgendwem gestehen zu müssen, dass ich ihn über den Leisten gezogen hatte. Lieber würde dieser geldgeile Kerl auf eine nicht unbeträchtliche Summe verzichten, als öffentlich einen Irrtum einzugestehen.
    Ich liebte diese extreme Form von Eitelkeit, solange sie mir nutzte. Oder schätzte ich ihn etwa falsch ein? Bei diesem Gedanken hätte ich mich fast verschluckt.
    Die Vorführung war auf mehrere Akte angesetzt. Den ersten hatten wir hinter uns. Auf der hölzernen Plattform produzierte sich im Augenblick ein Bärenführer mit seinem

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