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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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bedauernswerten Opfer. Das arme Tier stand auf den Hinterbeinen, drehte sich, kauerte sich auf Verlangen nieder, stieg auf Geheiß in die Höhe, und machte alles das, was eine hölzerne Marionette kaum besser vermocht hätte.
    Der fette Franz hatte mir für meine Meisterleistung die Erfüllung vieler Wünsche in Aussicht gestellt, nolens volens, aber ich wollte mein Glück nicht überstrapazieren, weil ich merkte, dass ihm in seiner bisweilen schlichten Einfalt die Darbietung gefiel. Also ließ ich den Bärenführer gewähren und ihn den fürstlichen Applaus einheimsen. Morgen würde ich versuchen, ihm das geschundene Tier abzukaufen. Ich bin kein linker Vogel, deshalb würde mein Preis angemessen sein. Akzeptierte er nicht, würde er übermorgen mit durchschnittener Kehle aufwachen und in den letzten zwei Sekunden seines Lebens feststellen, dass es äußerst unklug ist, Friedrich von dem Kerkhof, dem allergeheimsten Sonderbeauftragten seiner fürstbischöflichen Eminenz, Franz von Waldeck, nicht jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.
    Ich wärmte mir die Finger an meinem Becher und sah in einer unangemessenen Aufwallung von Mut direkt zum feisten Franz hinüber, der jetzt mit links eine fetttriefende Schweinshaxe hielt und seine schmierige Rechte am Mieder seiner laut kichernden Konkubine abwischte. Fürwahr, ein prächtiger Stellvertreter des heiligen Vaters in unserem Münsterland. Selbst die Borgiapäbste konnten nicht mehr Metzen gefickt haben als dieses zölibatverhöhnende, obszöne Speckfass. Aber andererseits, was ist obszöner als das Zölibat? Und außerdem, wer ist berufener, den Sündern zu predigen, als der größte Sünder?
    Es roch auf einschüchternde Weise nach verbranntem Fleisch und angenehm nach heißem, rotem Wein. Ich beschloss, mich nicht länger gegen die Gunst der Stunde zu stellen und mich in das Unabänderliche zu fügen. Schließlich gehörte ich für die nächsten Stunden nicht zu den Hauptdarstellern. Obwohl sie es in der unmittelbaren Nähe des Kohlebeckens sehr viel wärmer hatten als ich, wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne, die für sie die längste ihres Lebens werden würde.
    Wie auch immer, es war nicht mein Bier. Ich hatte mich damit abgefunden, in meinem Dasein meine höchst spezifische Rolle zu spielen, und ich glaubte, mir darin schmeicheln zu können, dass ich sie perfekt erfüllte.
    Franz zerfetzte die Haxe mit seinen schadhaften Zähnen und rülpste dazu unter dem begeisterten Anfeuern seiner Mätresse. Unsere Blicke trafen sich und wir lächelten uns in jener verlogenen Weise an, die es nur unter eingeweihten Komplizen gibt, die den Dolch auf dem Rücken halten und genau wissen, dass es auch der andere weiß. Wir lachten beide breit und tranken uns zu. Für mich war immer wieder faszinierend zu sehen, wie Politik auch im kleinsten Rahmen funktionierte.
    Zweiter Akt, das Schauspiel nahm seinen Fortgang. Das hölzerne Podium uns gegenüber wurde von einem jungen Mann erklettert, der auf eigenartige Weise verunsichert, aber gleichermaßen in sein Schicksal ergeben und wie die ideale Besetzung seiner Rolle wirkte. Er stieg mit glatter Bewegung hinauf, in Stiefeln, einem engen Beinkleid und weitem Leinenhemd. Nach einem kurzen Moment der Orientierung wandte er sich zu uns, verneigte sich tief vor Franz von Waldeck – und damit aufgrund unserer körperlichen Nähe auch vor mir –, rief: »Gott segne unseren Landesherrn« und streifte mit einer fließenden Bewegung das Hemd über den Kopf. Dann breitete er die Arme aus und ließ sich in perfekter zeitlicher Abstimmung von zwei Männern, die sich bis dahin in der Nähe der Glut aufgewärmt hatten, bei den Händen nehmen und in die Mitte der Plattform führen. Er lehnte sich mit dem Rücken an den dort errichteten Pfahl, schloss die Augen und lächelte. Der Rest der Welt konnte ihn nicht mehr berühren, weder innerlich noch äußerlich. Er spielte die Rolle seines Lebens und war sichtlich stolz auf sich.
    Ich merkte, dass die Augen des fetten Franz auf mir ruhten, und fröstelte, nicht allein wegen der Temperatur. Glaubt mir, meine Freunde, in diesem Moment war ich mir sicher, dass er sich gerade vorstellte, wie ich mich an Stelle des jungen Burschen dort drüben machen würde.
    Ich gestattete mir einen ironisch-koketten Seitenblick und prostete hinüber. Franz prostete zurück, zwinkerte zur Bühne hinauf und seine Kurtisane drückte mir unter Gelächter mit einem schmandigen Schmatz so viel Fett auf den Bart, dass ich

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