Der Raritätenladen
mir, meine Liebe«, sagte ich.
»Nein«, versetzte das Kind ruhig, »es gehört dem Großvater.«
»Aber er wird doch nicht heute nacht noch ausgehen?«
»O ja, das wird er«, sagte das Kind mit einem Lächeln.
»Und was wird aus dir, mein artiges Kind?«
»Aus mir? Ich bleibe natürlich hier. Das ist immer so.«
Ich blickte erstaunt auf den alten Mann; aber der war mit dem Ordnen seines Anzugs beschäftigt oder tat wenigstens dergleichen. Von ihm sah ich wieder auf die leichte, zarte Gestalt des Kindes zurück. Allein! – an diesem düstern Orte die ganze lange, traurige Nacht!
Sie schien mein Erstaunen nicht zu bemerken, sondern half heiter dem alten Manne den Mantel anlegen und nahm, als er fertig war, ein Licht, um uns voranzuleuchten. Als sie bemerkte, daß wir nicht folgten – wie sie erwartet hatte –, sah sie mit einem Lächeln zurück und harrte unser. Das Gesicht des alten Mannes zeigte deutlich, daß er mein Zögern verstand, aber er deutete mir bloß durch eine Neigung des Kopfes an, daß ich vorangehen möge, und blieb stumm. Ich hatte keine andere Wahl als zu willfahren.
Als wir die Tür erreichten, stellte das Kind den Leuchter nieder, schickte sich an, sich von uns zu verabschieden, und erhob ihr Köpfchen, um mich zu küssen. Dann eilte sie auf den alten Mann zu, der sie umarmte und Gottes Segen auf sie herabwünschte.
»Schlaf wohl, Nell!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Mögen die Engel an deinem Bette wachen! Vergiß dein Gebet nicht, meine Liebe!«
»Nein, gewiß nicht«, antwortete das Kind herzlich; »ich fühle mich so glücklich nachher.«
»Recht so; ich weiß, daß es so ist und so sein muß«, entgegnete der alte Mann. »Gott segne dich tausendmal. Morgen früh werde ich zurückkommen.«
»Sie brauchen nicht zweimal zu läuten«, erwiderte das Kind; »die Klingel wird mich wecken, selbst wenn ich mitten im Träumen bin.«
Mit diesen Worten trennten sie sich. Das Kind öffnete die Tür, welche jetzt durch einen Laden geschützt war – ich hatte gehört, wie der Junge ihn, ehe er das Haus verließ, vorgelegt hatte –, und nach einem weiteren Lebewohl, dessen hellen und klaren Ton ich mir seitdem tausendmal zurückgerufen habe, blieb sie in der Tür stehen, bis wir hinausgegangen waren. Der alte Mann wartete einen Augenblick, während sie von innen leise die Tür verschloß und verriegelte, und sobald dies zu seiner Zufriedenheit geschehen war, ging er langsam weiter. An der Straßenecke machte er halt, betrachtete mich mit einem unruhigen Gesicht und sagte, unsere Wege gingen nach ganz entgegengesetzten Richtungen, weshalb er hier Abschied nehmen müsse. Ich hatte noch manches auf dem Herzen, aber er eilte mit einer Behendigkeit weiter, die ich von einem Manne seines Alters nicht erwartet hätte. Ich konnte sehen, daß er noch zwei- oder dreimal zurückblickte, als wollte er sich überzeugen, ob ich ihm noch immer nachschaue, vielleicht aber auch, um sich zu vergewissern, daß ich ihm nicht in der Entfernung folge. Die Dunkelheit der Nacht begünstigte sein Verschwinden, und seine Gestalt war mir bald aus den Augen.
Ich blieb an der Stelle stehen, an der er von mir geschieden war – durchaus nicht willens, mich zu entfernen, und doch wußte ich nicht, warum ich hier länger verweilen sollte. Gedankenvoll blickte ich die Straße hinunter, die wir eben verlassen hatten, und nach einer Weile lenkte ich meine Schrit
te zurück. Ich ging einige Male vor dem Hause auf und ab und horchte an der Tür; alles war dunkel und still wie ein Grab.
Und doch zögerte ich noch immer fortzugehen und konnte mich nicht losreißen, indem ich mir alles mögliche Ungemach vorstellte, das dem Kinde widerfahren könnte. Ich dachte an Feuer, Räuber, sogar an Mord, und es war mir, als müßte etwas Böses folgen, wenn ich dem Hause den Rücken kehrte. Jedes Schließen einer Tür oder eines Fensters brachte mich aufs neue vor die Behausung des Raritätenkrämers. Ich ging über die Straße und sah an dem Gebäude hinauf, um mich zu überzeugen, daß der Ton nicht von dorther gekommen sei. Nein – da war alles schwarz, kalt und leblos wie zuvor.
Nur wenige Nachtvögel waren noch unterwegs; die Straße war traurig und unheimlich und gehörte so ziemlich mir allein. Ein paar Nachzügler, die aus den Theatern kamen, eilten an mir vorbei, und hin und wieder trat ich etwas beiseite, um irgendeinem lärmenden, nach Hause wankenden Trunkenbold aus dem Wege zu gehen; doch kamen diese Unterbrechungen
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