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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Anspruch auf mein Interesse, daß, wie ich bereits
bemerkte, sie mir trotz aller Bemühung nicht aus dem Sinn kam.
    »Das wäre ein merkwürdiges Bild«, sprach ich zu mir selbst nach vielem rastlosen Auf- und Abschreiten, »sie mir in Zukunft vorzustellen, wie sie ihr einsames Leben inmitten von abenteuerlichen, grotesken Gefährten verbringt, als das einzige lautere, frische junge Ding in dem trockenen Kram! Es wäre ganz komisch …«
    Ich unterbrach mich hier, denn dieses Bild trug mich mit Windeseile mit sich fort, und ich sah vor mir bereits eine Region, die ich nicht gerne betreten wollte. Ich mußte mir gestehen, daß dies alles eitle Träumerei sei, beschloß, zu Bett zu gehen und alles zu vergessen.
    Doch die ganze Nacht über, im Wachen und im Schlafen, kehrten stets dieselben Gedanken wieder, und die gleichen Bilder beschäftigten mein Gehirn: immer standen die alten, finsteren, düsteren Stuben, die Reihe von Harnischen mit ihrem gespenstig-stummen Aussehen, die schielenden Gesichter, die mich aus dem Holze und Steine angrinsten, der Staub, der Moder und der Wurm, der in dem Holze lebt, vor meinen Augen, und allein inmitten all dieses Gerümpels, dieses Verfalles und dieser häßlichen Altertümer das schöne Kind in seinem sanften Schlummer, durch seine lichten und sonnigen Träume lächelnd.

Zweites Kapitel
    Nachdem ich fast eine Woche lang das Gefühl bekämpft hatte, das mich antrieb, den Ort wieder zu besuchen, den ich unter den mitgeteilten Umständen verlassen hatte, gab ich ihm endlich doch nach. Ich beschloß jedoch, diesmal mich im Lichte
des Tages zu zeigen, und lenkte daher meine Schritte in den ersten Stunden des Nachmittags in jene Gegend.
    Ich ging an dem Hause vorbei und mehrere Male in der Straße auf und ab, mit jenem gewissen Zögern, das ganz natürlich ist bei jemandem, der weiß, daß sein Besuch zum mindesten unerwartet, wenn nicht sogar höchst unwillkommen ist. Da jedoch die Ladentür geschlossen und es wahrscheinlich war, daß ich von den Leuten drin nicht erkannt würde, wenn ich bloß auf und ab spazierte, überwand ich meine Unschlüssigkeit und befand mich bald im Speicher des Raritätenkrämers.
    Der alte Mann stand mit noch einer andern Person im Hintergrunde, und beide schienen in einem lebhaften Wortwechsel begriffen gewesen zu sein, denn ihre zuvor sehr lauten Stimmen schwiegen plötzlich bei meinem Eintritt. Und der alte Mann kam hastig auf mich zu und sagte in zitterndem Tone, es freue ihn sehr, daß ich gekommen sei.
    »Sie haben uns in einem kritischen Augenblicke unterbrochen«, fuhr er fort, indem er auf den Mann deutete, der sich in dem Laden befand. »Der Mensch da wird mich in den nächsten Tagen noch umbringen! Er würde es schon längst getan haben, wenn er den Mut dazu gehabt hätte.«
    »Pah! Sie würden mir mit einem Eide das Leben nehmen, wenn Sie könnten«, entgegnete der andere mit einem stechenden Zornesblicke auf mich, »das wissen wir alle!«
    »Ich glaube fast, daß ich es könnte«, rief der alte Mann, indem er sich kraftlos nach ihm umwandte. »Wenn Eide, Gebete oder Worte mich von dir erlösen könnten, so sollte es gewiß geschehen. Ich wäre deiner ledig, und mir wäre wohl, wenn du tot wärest.«
    »Das weiß ich«, versetzte der andere. »Sagte ich es nicht bereits? Aber weder Eide noch Gebete, noch Worte werden mich
töten; ich bleibe daher am Leben und habe im Sinne, weiterzuleben.«
    »Und seine Mutter hat sterben müssen!« rief der alte Mann, leidenschaftlich die Hände zusammenschlagend und nach oben blickend. »Ist das die Gerechtigkeit des Himmels?«
    Der andere stand nachlässig mit dem Fuße auf einem Stuhl und betrachtete den Alten mit einem verächtlichen Hohnlächeln. Er war ein junger Mann von einundzwanzig Jahren oder darüber, wohlgebildet und sogar schön, obgleich der Ausdruck seines Gesichtes nicht im geringsten ansprach, sondern im Gegenteil durch seine liederliche und unverschämte Miene – Charakterzüge, die sich außerdem in seinem ganzen Benehmen und sogar in seiner Kleidung ausdrückten – abstoßend wirkte.
    »Gerechtigkeit oder nicht«, erwiderte der junge Bursche, »ich bin hier und werde hierbleiben, bis es mich gutdünkt zu gehen; es müßte denn sein, daß Sie Leute herbeiriefen, um mich hinauswerfen zu lassen – und das tun Sie nicht, wie ich wohl weiß. Ich sage Ihnen noch einmal, daß ich meine Schwester sehen will.«
    » Deine Schwester?« versetzte der alte Mann bitter.
    »Ja, die Verwandtschaft

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