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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ritter im Auftrag des Herzogs Heinrich von Braunschweig. Und nun«, sagte ich, wobei ich meiner Stimme einen schärferen Ton verlieh, »gib mir gefälligst Antwort, Knecht.«
    Das letzte Wort ließ ihn zusammenfahren, und seine Augen verengten sich vor Wut. Wiewohl, zu seinem eigenen Besten blieb er ruhig und entgegnete gehorsam: »Der Mann dort oben ist ein Ketzer, ein Jünger des heidnischen Wodan. Der Vogt gab Befehl, ihn zum Marktplatz zu bringen. Dort soll er brennen, wie es ihm und den Seinen gebührt.«
    Ich sah erneut hinauf in den Baum, wo der Scherge den Mann fast erreicht hatte.
    »Wer hat ihn dort oben gefesselt?« fragte ich.
    »Er selbst war es, der die Schlingen anlegte«, erwiderte der Bischöfliche, ohne mich dabei anzusehen, denn das Geschehen im Baum schien ihm wichtiger als meine Anwesenheit.
    Ich schluckte die Zurechtweisung, die mir auf der Zunge lag, und fragte statt dessen: »Weshalb sollte er das getan haben?«
    »Bin ich ein Ketzer? Wie soll ich das wissen?«
    »Wenn Ihr es nicht wißt, wie könnt Ihr dann so sicher sein?«
    Ungeduldig fuhr der Mann erneut herum. »Was mischt Ihr Euch in diese Angelegenheit, Ritter? Dies ist eine Sache des Vogts und unseres Herrn, des Bischofs. Reitet weiter oder tut, was Euch beliebt, aber laßt uns unsere Arbeit verrichten.«
    Fast hätte ich ihn mein Schwert spüren lassen – nichts lieber als das! –, doch gelang es mir im letzten Moment, mich zu zügeln. Erstmals besah ich mir den bischöflichen Schergen genauer. Ein rauhes Gesicht, umrahmt von einem blonden Bart. Eine Narbe quer über der Stirn.
    »Nennt mir Euren Namen«, verlangte ich gefaßt.
    »Einhard«, erwiderte der Mann beinahe gleichgültig. »Und falls Ihr gedenkt, Euch beim Vogt oder Dechant über mich zu beschweren, so tut das, wenn Ihr wünscht. Aber bedenkt: Euer Wort wiegt in dieser Stadt nicht mehr als das meine.«
    Das also war es, wovor man mich gewarnt hatte. Hameln unterstand dem Bischof von Minden ebenso wie meinem Herrn, dem Herzog von Braunschweig. Ein erbärmlicher Vertrag, entstanden aufgrund von mißratenem, politischem Kalkül, hatte vor fast zwei Jahrzehnten für diese mißliche Lage gesorgt, und da Braunschweig fern, die Macht des Bischofs aber allgegenwärtig war, schien mein Stand in dieser Sache nicht der beste.
    »Wir werden sehen«, war daher das einzige, was mir als Erwiderung einfiel, und es klang selbst in meinen eigenen Ohren wie das Eingeständnis einer Niederlage. Trotzdem gedachte ich keinesfalls, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen.
    Ein lautes Schreien und tosender Beifall der Menge befreite mich vorerst von meinen Sorgen. Ich sah eben noch, wie der Scherge des Bischofs den letzten Strick am Handgelenk des strampelnden Ketzers durchschnitt, dann stürzte der Unglückliche wie ein gefallener Engel in die Tiefe. Mit einem weiteren Aufschrei schlug er auf, Schlamm bespritzte die Umstehenden. Alles weitere ging unter im Gröhlen der Menge, die sich sogleich auf den Mann stürzte und ihn gewaltsam auf die Füße riß. Im Hintergrund sprang der Kirchenknecht sicher zu Boden.
    Der schmutzige Kerl lachte nicht mehr, doch er protestierte auch nicht, als zwei Bischöfliche ihn grob an den Armen faßten. Einhard, offenbar der Ranghöchste unter den Männern, beachtete mich nicht weiter, ging auf den Gefangenen zu und versetzte ihm einen grausamen Hieb in den Magen. Ein zweiter Schlag traf die Nase des Ketzers. Krachend barst der Knochen. Blut schoß über das verschmutzte Gesicht. Wieder johlten die Zuschauer, einige verlangten nach mehr.
    Einhard gab seinen Männern einen Wink, auf daß sie den Verletzten in Richtung des Stadttors abführten. Der Ketzer ließ es ohne Gegenwehr geschehen, ja, er ging erhobenen Hauptes voran, als führe er die Gruppe der Soldaten und Bürger an wie ein Priester seine Lämmer. An das Blut, das ihm vom Kinn auf die Kleidung tropfte, wie auch an den Schmerz schien er keinen Gedanken zu verschwenden. Ich kam nicht umhin, ihm Achtung zu zollen, obgleich ich ihn für seinen Götzendienst verdammte. Ich zweifelte nicht, daß er den Feuertod verdiente.
    Ich verharrte einen Augenblick, beobachtete mit Gleichmut, wie einer der Schergen zurückblieb und das Gras am Fuß des Baumes nach irgend etwas absuchte, dann trieb ich mein Pferd voran und folgte der aufgebrachten Gruppe in einigem Abstand durch den peitschenden Regen zur Stadt.
    Die Wehrmauer, die Hameln umgab, war nicht allzu mächtig, vielleicht drei Mannslängen hoch; einem Sturm

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