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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zusammenstehen sehen, und binnen Stunden war die Freundschaft wegen Hochverrats beendet: Jungs gehören der, die sie zuerst sichtet, und nicht der, die sich traut. Doch bei Sonia braucht sich Ilaria keine Sorgen zu machen, die ist nicht so hübsch wie sie, also gibt es keinen Konkurrenzdruck. Bis vor ein paar Monaten haben sie sich inbrünstig gehasst, dochjetzt sind sie offenbar ganz dicke, bis zum nächsten Jungen oder zur nächsten Party, wo eine der beiden eine blöde Bemerkung macht und die andere zu Tode beleidigt ist. Barbara ist dafür jetzt immer mit Silvia zusammen. In der Klasse heißen sie nur das schräge Paar, was nicht neckisch, sondern gehässig gemeint ist, weil Barbara hübsch und Silvia alles andere als das ist. Keiner weiß, wie es zwischen den beiden gefunkt hat, denn Silvia ist nicht nur ziemlich unsympathisch, sondern sieht auch noch scheiße aus, und normalerweise gibt sich Barbara nicht mit hässlichen Leuten ab, wie sie selbst einmal unter gellenden Pfiffen und den schmachtenden Blicken einiger hoffnungsloser Verehrer, die wohl noch bis zur Rente von ihr träumen werden, erklärt hat.
    Deshalb liebe ich Zerolandia. Die einzige Regel, die es zu respektieren gilt, ist eisernes mönchisches Schweigen. Will man sich verständlich machen, dann nur mit Zeichensprache oder dem Morsealphabet. Jede Nachricht, jeder Laut aus dem Rest der Welt bricht sich an den Landesgrenzen und erreicht einen wie ein Windstoß, der über Ödland geht.
    I love Zerolandia.

31. Oktober
    Mündliche Abfragung Englisch. Ich melde mich freiwillig, und es läuft super: Auf sämtliche Fragen zur Romantik weiß ich die richtige Antwort. Gestern Nachmittag bin ich beim Nachdenken über Mary Shelley und all ihre Geister richtig schwermütig geworden. Während ich vorne an der Tafel stehe, schiele ich ein paarmal zu Gabriele hinüber. Er sieht aus dem Fenster, wer weiß, woran er denkt. Als ich auf meinen Platz zurückkehre, liest er einen Comic und sieht nicht einmal auf, als ich versehentlich gegen das Tischbein remple. Als würde ich nicht existieren und es gäbe ringsum nichts und niemanden.
    Nicht einmal mit den Hausmeistern habe ich ihn je ein Wort wechseln sehen. Er macht nie mit, wenn die anderen Jungs über Fußball reden, und gönnt er einem doch einen etwas längeren Blick, ist es, als sähe er von seinem Thron im größten und düstersten Saal seines Zerolandia-Schlosses angeödet auf einen hinab.
    In Zerolandia regierte ein schweigsamer, argwöhnischer König, der die Grenzen seines Reiches noch nie überschritten hatte. Er hatte niemals Krieg erklärt. Ein rätselhafter König, der keinerlei Wünsche hegte …
    Quatsch, irgendwas muss er doch mögen. Ich frage mich oft, woran er während des Unterrichts denkt, Tag für Tag hinter diesen Tisch geklemmt, ohne jemanden, mit dem er zweiWorte wechseln kann. Vielleicht hört er sogar manchmal zu, vielleicht dringt aus der Wörterflut, die sich über ihn ergießt, das eine oder andere zu ihm durch. Er zeichnet viel, in Kunst ist er sehr gut, und das finde nicht nur ich. Der Lehrer hat ihn einmal aufgefordert, einen Kollegen zu karikieren. Er hat sich die grantige, dicke Mathelehrerin ausgesucht. Auf seiner Zeichnung klemmte sie mit ihrem fetten Hintern zwischen Pult und Tafel fest, die Kreiden balancierten auf ihrem riesigen Dekolleté, und der Schwamm steckte wie ein pochendes Herz zwischen ihren Mordstitten. Wir haben alle gelacht, vor allem der Lehrer, der ihn lobte, die Zeichnung in der Hand, und ihm dabei direkt in die Augen sah. Dann sagte er noch einmal und nur für ihn: »Sehr gut, Gabriele.« Sofort wurde das Gerücht in die Welt gesetzt, der Lehrer sei schwul und scharf auf Righi. Wir alle wussten, dass das nicht stimmte und es reiner Neid war; es ist nun einmal schwer zu ertragen, dass einer mit dem Spitznamen Zero ein Talent hat und etwas kann, während man selbst stundenlang über den Büchern hängt und nichts dabei rauskommt.
    Als er mich vor ein paar Tagen nach der Zigarette fragte, habe ich mich fast gefreut. Ich dachte schon, es wäre eine Ausrede, um mich anzuquatschen, aber seitdem hat er kein Wort mehr von sich gegeben. Er wollte wohl doch nur eine Kippe.
    Noch herrscht in Zerolandia Schweigen.

5. November
    Heute ist Zero nicht gekommen. Niemand redet mit mir, und ich vertrete meinen König. Ich döse vor mich hin und tue so, als schriebe ich mit. Nur bei Italienisch werde ich wieder wach und stelle sogar ein paar Fragen: Offenbar bin ich die

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