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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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frierend. »Du wirst mich nicht töten. Ich bin der einzige, der dich kennt, und so bin ich auch der einzige, der dich richten kann. Ich habe dich gerichtet, Gastmann, ich habe dich zum Tode verurteilt. Du wirst den heutigen Tag nicht mehr überleben. Der Henker, den ich ausersehen habe, wird heute zu dir kommen. Er wird dich töten, denn das muß nun eben einmal in Gottes Namen getan werden.«
    Gastmann zuckte zusammen und starrte den Alten verwundert an, doch dieser ging in den Bahnhof hinein, die Hände im Mantel vergraben, ohne sich umzukehren, hinein in das dunkle Gebäude, das sich langsam mit Menschen füllte.
    »Du Narr!« schrie Gastmann nun plötzlich dem Kommissär nach, so laut, daß sich einige Passanten umdrehten. »Du Narr!« Doch Bärlach war nicht mehr zu sehen.

Achtzehntes Kapitel

    Der Tag, der nun immer mehr heraufzog, war klar und mächtig, die Sonne, ein makelloser Ball, warf harte und lange Schatten, sie, höher rollend, nur wenig verkürzend. Die Stadt lag da, eine weiße Muschel, das Licht aufsaugend, in ihren Gassen verschluckend, um es nachts mit tausend Lichtern wieder auszuspeien, ein Ungeheur, das immer neue Menschen gebar, zersetzte, begrub. Immer strahlender wurde der Morgen, ein leuchtender Schild über dem Verhallen der Glocken. Tschanz wartete, bleich im Licht, das von den Mauern prallte, eine Stunde lang. Er ging unruhig in den Lauben vor der Kathedrale auf und ab, sah auch zu den Wasserspeiern hinauf, wilde Fratzen, die auf das Pflaster starrten, das im Sonnenlicht lag. Endlich öffneten sich die Portale. Der Strom der Menschen war gewaltig, Lüthi hatte gepredigt, doch sah er sofort den weißen Regenmantel. Anna kam auf ihn zu. Sie sagte, daß sie sich freue, ihn zu sehen, und gab ihm die Hand. Sie gingen die Keßlergasse hinauf, mitten im Schwarm der Kirchgänger, umgeben von alten und jungen Leuten, hier ein Professor, da eine sonntäglich herausgeputzte Bäckersfrau, dort zwei Studenten mit einem Mädchen, einige Dutzend Beamte, Lehrer, alle sauber, alle gewaschen, alle hungrig, alle sich auf ein besseres Essen freuend. Sie erreichten den Kasinoplatz, überquerten ihn und gingen ins Marzili hinunter. Auf der Brücke blieben sie stehen.
    »Fräulein Anna«, sagte Tschanz, »heute werde ich Ulrichs Mörder stellen.«
    »Wissen Sie denn, wer es ist?« fragte sie überrascht.
    Er schaute sie an.
    Sie stand vor ihm, bleich und schmal.
    »Ich glaube zu wissen«, sagte er. »Werden Sie mir, wenn ich ihn gestellt habe«, er zögerte etwas in seiner Frage, »das gleiche wie Ihrem verstorbenen Bräutigam sein?«
    Anna antwortete nicht sofort. Sie zog ihren Mantel enger zusammen, als fröre sie. Ein leichter Wind stieg auf, brachte ihre blonden Haare durcheinander, aber dann sagte sie:
    »So wollen wir es halten.«
    Sie gaben sich die Hand, und Anna ging ans andere Ufer. Er sah ihr nach. Ihr weißer Mantel leuchtete zwischen den Birkenstämmen, tauchte zwischen Spaziergängern unter, kam wieder hervor, verschwand endlich. Dann ging er zum Bahnhof, wo er den Wagen gelassen hatte. Er fuhr nach Ligerz. Es war gegen Mittag, als er ankam; denn er fuhr langsam, hielt manchmal auch an, ging rauchend in die Felder hinein, kehrte wieder zum Wagen zurück, fuhr weiter. Er hielt in Ligerz vor der Station, stieg dann die Treppe zur Kirche empor. Er war ruhig geworden. Der See war tiefblau, die Reben entlaubt, und die Erde zwischen ihnen braun und locker. Doch Tschanz sah nichts und kümmerte sich um nichts. Er stieg unaufhaltsam und gleichmäßig hinauf, ohne sich umzukehren und ohne innezuhalten. Der Weg führte steil bergan, von weißen Mauern eingefaßt, ließ Rebberg um Rebberg zurück. Tschanz stieg immer höher, ruhig, langsam, unbeirrbar, die rechte Hand in der Manteltasche. Manchmal kreuzte eine Eidechse seinen Weg, Bussarde stiegen auf, das Land zitterte im Feuer der Sonne, als wäre es Sommer; er stieg unaufhaltsam. Später tauchte er in den Wald ein, die Reben verlassend. Es wurde kühler. Zwischen den Stämmen leuchteten die weißen Jurafelsen. Er stieg immer höher hinan, immer im gleichen Schritt gehend, immer im gleichen stetigen Gang vorrückend, und betrat die Felder. Es war Acker- und Weideland; der Weg stieg sanfter. Er schritt an einem Friedhof vorbei, ein Rechteck, von einer grauen Mauer eingefaßt, mit weit offenem Tor. Schwarzgekleidete Frauen schritten auf den Wegen, ein alter gebückter Mann stand da, schaute dem Vorbeiziehenden nach, der immer weiterschritt, die rechte

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