Der Richter und sein Henker (German Edition)
verlorener Stern in einer düsteren Finsternis, voll von Traurigkeit, voll vom Rauschen des Flusses. Tschanz stand da, und plötzlich stieß er einen leisen Fluch aus. Sein Fuß stieß die Gartentüre wieder auf, entschlossen schritt er über den Gartenweg bis zur Haustüre, den Weg, den er gegangen, noch einmal zurückgehend.
Er ergriff die Falle und drückte sie nieder. Aber die Haustüre war jetzt verschlossen.
Bärlach erhob sich um sechs, ohne geschlafen zu haben. Es war Sonntag. Der Alte wusch sich, legte auch andere Kleider an. Dann telephonierte er einem Taxi, essen wollte er im Speisewagen. Er nahm den warmen Wintermantel und verließ die Wohnung, trat in den grauen Morgen hinaus, doch trug er keinen Koffer bei sich. Der Himmel war klar. Ein verbummelter Student wankte vorbei, nach Bier stinkend, grüßte. Der Blaser, dachte Bärlach, schon zum zweiten Male durchs Physikum gefallen, der arme Kerl. Da fängt man an zu saufen. Das Taxi fuhr heran, hielt. Es war ein großer amerikanischer Wagen. Der Chauffeur hatte den Kragen hochgeschlagen, Bärlach sah kaum die Augen. Der Chauffeur öffnete.
»Bahnhof«, sagte Bärlach und stieg ein. Der Wagen setzte sich in Bewegung.
»Nun«, sagte eine Stimme neben ihm, »wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?«
Bärlach wandte den Kopf. In der andern Ecke saß Gastmann. Er war in einem hellen Regenmantel und hielt die Arme verschränkt. Die Hände steckten in braunen Lederhandschuhen. So saß er da wie ein alter, spöttischer Bauer. Vorne wandte der Chauffeur sein Gesicht nach hinten, grinste. Der Kragen war jetzt nicht mehr hochgeschlagen, es war einer der Diener. Bärlach begriff, daß er in eine Falle gegangen war.
»Was willst du wieder von mir?« fragte der Alte.
»Du spürst mir immer noch nach. Du warst beim Schriftsteller«, sagte der in der Ecke, und seine Stimme klang drohend.
»Das ist mein Beruf.«
Der andere ließ kein Auge von ihm: »Es ist noch jeder umgekommen, der sich mit mir beschäftigt hat, Bärlach.«
Der vorne fuhr wie der Teufel den Aargauerstalden hinauf.
»Ich lebe noch. Und ich habe mich immer mit dir beschäftigt«, antwortete der Kommissär gelassen.
Die beiden schwiegen.
Der Chauffeur fuhr in rasender Geschwindigkeit gegen den Viktoriaplatz. Ein alter Mann humpelte über die Straße und konnte sich nur mit Mühe retten.
»Gebt doch acht«, sagte Bärlach ärgerlich.
»Fahr schneller«, rief Gastmann schneidend und musterte den Alten spöttisch. »Ich liebe die Schnelligkeit der Maschinen.«
Der Kommissar fröstelte. Er liebte die luftleeren Räume nicht. Sie rasten über die Brücke, an einem Tram vorbei und näherten sich über das silberne Band des Flusses tief unter ihnen pfeilschnell der Stadt, die sich ihnen willig öffnete. Die Gassen waren noch öde und verlassen, der Himmel über der Stadt gläsern.
»Ich rate dir, das Spiel aufzugeben. Es wäre Zeit, deine Niederlage einzusehen«, sagte Gastmann und stopfte seine Pfeife.
Der Alte sah nach den dunklen Wölbungen der Lauben, an denen sie vorüberglitten nach den schattenhaften Gestalten zweier Polizisten, die vor der Buchhandlung Lang standen.
Geißbühler und Zumsteg, dachte er und dann: Den Fontane sollte ich doch endlich einmal zahlen.
»Unser Spiel«, antwortete er endlich, »können wir nicht aufgeben. Du bist in jener Nacht in der Türkei schuldig geworden, weil du die Wette geboten hast, Gastmann, und ich, weil ich sie angenommen habe.«
Sie fuhren am Bundeshaus vorbei.
»Du glaubst immer noch, ich hätte den Schmied getötet?« fragte der andere.
»Ich habe keinen Augenblick daran geglaubt«, antwortete der Alte und fuhr dann fort, gleichgültig zusehend, wie der andere seine Pfeife in Brand steckte: »Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen hast, nun werde ich dich eben dessen überführen, das du nicht begangen hast.«
Gastmann schaute den Kommissär prüfend an.
»Auf diese Möglichkeit bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte er. »Ich werde mich vorsehen müssen.«
Der Kommissär schwieg.
»Vielleicht bist du ein gefährlicherer Bursche, als ich dachte, alter Mann«, meinte Gastmann in seiner Ecke nachdenklich.
Der Wagen hielt. Sie waren am Bahnhof.
»Es ist das letzte Mal, daß ich mit dir rede, Bärlach«, sagte Gastmann. »Das nächste Mal werde ich dich töten, gesetzt, daß du deine Operation überstehst.«
»Du irrst dich«, sagte Bärlach, der auf dem morgendlichen Platz stand, alt und leicht
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