Der Richter und sein Henker (German Edition)
Die Idee »Gastmann« ist in der Person Gastmann nicht zu Fleisch geworden wie die Idee »Bärlach« in der Person Bärlach. (Liegt es vielleicht daran, daß die Idee des perfekten Nihilisten überhaupt nicht Fleisch werden kann?) Dazu gesellt sich die Unwahrscheinlichkeit etwa des unvermuteten Zusammentreffens zwischen Bärlach und Gastmann im Taxi – eine Unwahrscheinlichkeit, die man im Kriminalroman ungern entgegennimmt, wenn sie nicht strenger motiviert werden kann.
Ferner sind da jene Szenen, in denen Dürrenmatt seinem Hang zur Groteske, zur Karikatur mit dem breit geführten Pinsel nachlebt. Ob einem die Zeichnung des kümmerlichen Nationalrates und Obersten von Schwendi, ob einem die verregnete Friedhofsszene noch oder nicht mehr behagt, ist eine Temperamentsfrage. Nicht eine Temperamentsfrage, sondern eine Frage überhaupt ist, welchen Sinn das Auftreten des Verfassers im Lauf der Handlung selber hat. Im Grunde sprengt es den Rahmen des Geschehens, führt die Handlung aus der Gattung des Kriminalromanes heraus, ohne sie woanders hineinzuführen. Glauser hätte solche wilden Schosse abgeschnitten, der Geschlossenheit des Kriminalromanes sicher zum Heil. Vielleicht aber würden manche Leser Dürrenmatts nur ungern auf derlei Exkurse verzichten.
Weshalb man aber endlich dem Verfasser sowohl wie dem Verlag, der es gewagt hat, einen im ›Beobachter‹ veröffentlichten Text noch einmal abzudrucken, dankbar sein muß, ist folgendes:
Der Roman, der nicht gefühlswarm und in unermüdlicher Einfalt die Torheiten eines pseudo-schweizerischen Alltags und des durchschnittlichen Bildungsganges durchschnittlicher Mittelschüler beschwatzt, sondern zugleich phantasievoll und mit einem gewissen angeborenen Verfügungsrecht aus dieser schweizerischen Wirklichkeit (die eine große Unbekannte ist!) heraus seine Bilder und Gestalten schafft, ist selten. Das ist schlimm, weil Romane für die Bildung eines Volkes ungefähr so wichtig sind wie Schulen. Was wären die Engländer ohne ihre Romane, und was wären die Deutschen, wenn sie bessere Romane hätten! Die Popularität eines Wachtmeister Studer bei Leuten, die vom Namen Friedrich Glauser noch nie etwas vernommen hatten, hat gezeigt, welch großes Bedürfnis auch bei uns nach solchen Selbstverkörperungen und literarischen Selbstdarstellungen ist. Die Kargheit unseres literarischen Bodens macht es, daß die Tradition dieser Selbsterkenntnis immer wieder abzureißen droht. Schon aus diesem Grunde wäre man verpflichtet, einen jeden Autor, der hier einspringt, zu fördern. Man ist es auf jeden Fall, wenn es ein Verfasser mit den Fähigkeiten Dürrenmatts tut. Und einen Menschen, der Bücher schreibt, hat man am besten immer noch dadurch gefördert, daß man seine Bücher kaufte.
Aus: ›Basler Nachrichten‹, 17. 10. 1952
Aus materieller Not ist der vor 32 Jahren in Konolfingen geborene Dramatiker Friedrich Dürrenmatt vorübergehend zum Kriminalschriftsteller geworden. Snobs mögen das als Abstieg verlästern. Aber von Poe bis Graham Greene hat es immer Erzähler gegeben, die dieses oft malträtierte und zu puren Geschäftszwecken ausgebeutete Genre künstlerisch wieder veredelt haben. In seinem Roman Der Richter und sein Henker schließt sich Dürrenmatt unmittelbar an seinen Berner Landsmann Friedrich Glauser an, da die Figur seines Kriminalkommissärs Bärlach verwandtschaftliche Züge mit dem Wachtmeister Studer aufweist. Bärlach ist ein schwer magenleidender Mann, der nach ärzlicher Voraussicht nur noch ein Jahr zu leben hat. Scherzhaft nennt er sich selbst einen alten Kater, der gern Mäuse frißt. In diesem Roman nun will er ein Wild erjagen, hinter dem er schon 40 Jahre her ist. Tatsächlich wird der Obergauner nach gewohntem Rezept zur Strecke gebracht, um die öffentliche Moral zu befriedigen – aber ein zweiter Verbrecher schnappt Bärlach aus beruflichem Ehrgeiz die Beute weg, so daß zur Abwechslung einmal ein Schuft den anderen umbringt. Der mit echt bernischer Gemütsruhe ausgestattete Kommissär ist jedoch altersweise genug, um sich deswegen nicht die Haare auszuraufen. Die Leser ihrerseits sind während der Lektüre kaum aus der Spannung herausgekommen, denn Dürrenmatt, der in seinen dramatischen Experimenten gern den wilden Mann markiert, erweist sich hier als ein Schriftsteller, der mit trockener Ironie natürlich, witzig und durchaus volkstümlich Charaktere, bernische Milieus und Situationen schildern kann, die Farbe und Lebenssaft
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