Der Richter und sein Henker (German Edition)
sich durch seine Dramen im In- und Ausland einen geachteten Namen geschaffen. So wie es ihm in diesen Bühnenwerken um die Bloßstellung von Mißständen, um die seelische Charakterisierung unserer Zeit geht, so auch in seinen Kriminalromanen, mit denen er sich in die Reihe jener Dichter stellt, die seit Schiller und Poe auch dieser Literaturgattung ihre literarisch wertbare Form gegeben haben. Und die Schweiz hat damit seit Glauser wieder einen Autor, der, indem er die Handlung auf eigenem Boden aufbaut, kriminalistische Spannung mit jenen menschlichen und psychologischen Zügen zu verbinden weiß, die sein Werk in der internationalen Konkurrenz sehr wohl bestehen lassen. Sein Kommissär Bärlach ist jedoch eine echt schweizerische Figur, und auch die anderen Personen der zwischen Bern und dem Jura hin- und herspielenden Geschichte erhalten das für die hiesigen Polizeiverhältnisse typische Ambiente. Mit der undurchsichtigen Figur des Gastmann hat Dürrenmatt eine geheimnisvolle, durch SS -ähnliche Leibwachen geschützte Person hineingebracht, die er in dieser Form als spannungsfördernder Faktor gar nicht nötig hätte. Wie Bärlach aber die Fäden des Spieles in Händen hält und die Menschen gleich Marionetten seinem eigenen Ziele zuführt, ist beste kriminalistische Schriftstellerei.
Aus: ›Hessische Nachrichten‹, Kassel, 28. 11. 1953
Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt ist in Deutschland vor allem durch seine Theaterstücke, darunter Romulus und Die Ehe des Herrn Mississippi, bekannt geworden. Nun legt der Benziger Verlag einen Kriminalroman aus seiner Feder vor: Der Richter und sein Henker. Dieses Werk, das zweifellos den wertvolleren Erzeugnissen dieser Gattung, wie sie etwa ein E.T.A. Hoffmann und ein G. K. Chesterton geschaffen haben, zuzuzählen ist, erweist ihn als einen stilistisch gepflegten und inhaltlich spannenden Erzähler.
Wie gerade Dürrenmatt zu dieser literarischen Form kommt, das ergibt sich etwa aus seinen eigenen Worten: »Ich schreibe, um das Absurde dieser Welt wissend, aber nicht verzweifelnd; denn wenn wir auch wenig Chancen haben, sie zu retten – es sei denn, Gott sei uns gnädig –, bestehen können wir sie immer noch.«
Es geht in diesem Roman um einen Mord an einem Kriminalpolizisten. Zwei Kameraden des Ermordeten werden als Bearbeiter des Falles angesetzt; die Spur führt in den Kreis eines Jugendfreundes des Kommissärs Bärlach, der dessen verbrecherischer Gegenspieler geworden ist, aber bisher niemals von ihm gestellt werden konnte. Der eigentliche Täter ist allerdings der zweite Polizeibeauftragte. Bärlach durchschaut seinen Helfer, aber ehe er ihn entlarvt, läßt er – so ist der Titel zu verstehen – als Richter den Mörder zum Henker an seinem Auftraggeber werden.
Diese verwickelte Geschichte erzählt Dürrenmatt so geschickt und so klug, daß man ihm bis zu den letzten Seiten mit erregter Spannung zuhört.
Aus: ›Rundschau‹, Köln, 14. 12. 1953
Friedrich Dürrenmatt, 1921 zu Konolfingen im Kanton Bern geboren, begann Philosophie, Literaturgeschichte und Naturwissenschaften zu studieren, schrieb aber statt der Dissertation ein Drama über die Wiedertäufer. Es brachte ihm den Ruf ein, er sei »ein unbequemer Zeitgenosse, der in Rabelais’ Art über das Leben spricht und sich über die grausam-grotesken Züge des Schauspiels lustig macht, das unsere Zeit bietet«. Doch damit lasse es Dürrenmatt nicht bewenden, berichtet der Verlag weiter; vielmehr entspringe sein Gelächter über unseren Weltzustand einer tiefen und sicheren Einsicht: »dem Wissen um die Möglichkeit, den Sinn der Welt zu erkennen, wenn immer man nur ernsthaft will«. Und Dürrenmatt sagt über sein Schaffen selbst: »Ich schreibe, um das Absurde dieser Welt wissend, aber nicht verzweifelnd, denn wenn wir auch wenig Chancen haben, sie zu retten – es sei denn, Gott sei uns gnädig –, bestehen können wir sie immer noch.« Ein tapferer Pessimismus also, und mithin gewiß nicht die elendeste Haltung, die ein denkender Mensch heute einnehmen kann. Überdies eine Haltung, die in der Schweiz nicht sehr viele Vertreter zu haben scheint, in der übrigen Welt aber durch Angst- und Schreckenshysterie übertönt wird. Eine sympathische Haltung, weil sie unprätentiös und unpathetisch ist und sich nicht in weltanschaulichen Nebeln verliert, sondern selbst die widerwärtigen Dinge nimmt, wie sie nun einmal sind, ohne sich von ihrem fratzenhaften Anblick überwältigen zu lassen.
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