Der Richter und sein Henker (German Edition)
besitzen.
Aber weder die wilden Geschehnisse noch ein besonderes Maß von scharfsinniger Logik sind an Dürrenmatts Arbeit das Bemerkenswerteste. Ihr Vorzug liegt vielmehr (wie bei Glauser) in der präzisen, kritischen Darstellung deutschschweizerischer Eigenarten und in der Echtheit, mit der sie in die Atmosphäre der Stadt Bern und einiger Juralandschaften gestellt sind. Wo Dürrenmatt davon abweicht – glücklicherweise geschieht es erst in der Mitte seines Kurzromanes –, verirrt er sich in knallige, kinohafte Kolportage, am schlimmsten in der nach der Türkei verlegten Episode, wo auch im Gespräch des Kommissärs mit dem vielfach getarnten Gentleman-Verbrecher Sätze fallen, die papierene Mache sind. Leider ist es Dürrenmatt auch nicht geglückt, dem Verbrecher Nr. 1 die lebendige Sinnlichkeit seiner Polizisten- und Beamtenfiguren zu geben. Viele Sätze geben den sprachempfindlichen Bewunderern von Dürrenmatts angriffigem Talent geradezu einen Stich durchs Herz, wie es auch nicht angeht, daß der Berner Kriminalkommissär einmal sagt: »Für diese Freiheit gebe ich keinen Pfennig!« Gelungen ist aber die Figur des martialischen Obersten und Nationalrats, der sich als Mitwisser der geheimen Wirtschaftsverhandlungen zwischen einigen schweizerischen Industriellen und den Angehörigen einer fremden Macht sowie als Advokat des Obergauners unverfroren in die polizeiliche Untersuchung einschaltet, um sie zu verwedeln und abzustoppen. In manchen Zügen erkennt man überhaupt Dürrenmatts erzählerische Potenz, die sich vielleicht am eindrücklichsten während der Beerdigungsszene des ermordeten Polizeileutnants auf dem Schloßhalden-Friedhof in Bern zu erkennen gibt. Da sind die Polizisten versammelt, »alle in Zivil, alle mit den gleichen Regenmänteln, mit den gleichen steifen, schwarzen Hüten, die Schirme wie Säbel in den Händen, phantastische Totenwächter, von irgendwo herbeigeblasen, unwirklich in ihrer Biederkeit.« Zwei herbeitorkelnde Betrunkene, die einen Lorbeerkranz mitschleppen, biegen diese Episode hart an der Grenze des erlaubten Geschmackes in das Groteske und Dämonische um, das später beim Festschmaus des Kommissärs, als er den Mörder seiner Berufskollegen erwischt hat, ins lächerlich Verzerrte übergeht. Aber aus Dürrenmatts dramatischer Produktion weiß man längst, daß ihm solche Bocksprünge nicht fremd sind. Trotz verschiedener Mängel hat er jedoch mit diesem Kriminalroman das Vertrauen in seine künstlerischen Zukunftsmöglichkeiten verstärkt.
Aus: ›Tages-Anzeiger‹, Zürich, 8. 11. 1952
Der Sinn für dramatische Effekte liegt Dürrenmatt im Blute. Daß er diese nicht zum Selbstzweck erhebt, gibt ihnen nicht nur ihre Wucht, sondern ihre Berechtigung. Das dem flüchtigen Betrachter als oberflächlich Erscheinende ist nichts anderes als die bildhafte Umsetzung einer Weltanschauung, die aus der Zerrissenheit unserer Gegenwartssituation ihre Nahrung schöpft. Das scheinbar Ausgefallene wird so zur Selbstverständlichkeit. Dermaßen verhält es sich mit der Fabel dieses Kriminalromans. Ein Detektiv überliefert einen Mörder, der seine Untat unter Verhöhnung von Recht und Gesetz in aller Öffentlichkeit begangen hat, ohne daß man sie ihm hätte beweisen können, dem Gericht eines haltlosen, ehrgeizigen Berufsgenossen. Auf dieser Basis entwirft der Autor ein Bild unserer Zeit, die jedes Ethos einem ins Absurde gesteigerten Nützlichkeitsdenken und -handeln unterordnet. Mit beißender Ironie hält er uns einen Spiegel unserer eigenen Dekadenz und Verwilderung vor. Er bleibt indessen, und man empfindet das nach dem Sperrfeuer von Witz und Kritik als Wohltat, nicht im Negativen stecken, sondern läßt wahrer Menschlichkeit Gerechtigkeit widerfahren. Die Hauptgestalt des Romans, der nach Form und Inhalt eher eine Novelle ist, der Kriminalkommissär Bärlach, wird zum Sinnbild eines Menschen, der die vergröberten und mechanisierten Rechtsbegriffe neu gestalten will. Die innere Beziehung zur Komödie Die Ehe des Herrn Mississippi ist unverkennbar, mit dem bedeutungsvollen Unterschiede immerhin, daß der Dichter nicht an der Verworrenheit unserer Zeit verzweifelt.
Aus: ›Der Landbote‹, Winterthur, 28. 11. 1952
Man kennt in Deutschland den Namen des jungen Schweizer Dramatikers Friedrich Dürrenmatt, seitdem seine Tragikomödie Die Ehe des Herrn Mississippi hier gespielt worden ist. Ein Motiv aus diesem Stück, das sich so geschickt Wedekindscher Effekte bediente, findet sich auch
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