Der Richter
sich ge-wünscht hatte. jetzt, mit neuer Gattin als Trophäe und frischer Nachkom-menschaft, gerierte sich Lew als der neue Mittelpunkt Charlottesvilles.
Genug jetzt, murmelte Ray. Er sprach laut vor sich hin, doch hier oben, hoch über der Erde, antwortete ihm niemand.
Er nahm an - zumindest hoffte er es -, dass Forrest clean und nüchtern bei ihrem Vater auflaufen würde, aber solche Annahmen waren häufig ir-rig, und die Hoffnungen wurden enttäuscht. Zwanzig Jahre Entzug und Rückfälle - es war durchaus fraglich, ob Forrest seine Sucht jemals in den Griff bekommen würde. Zudem war Ray sich sicher, dass sein Bruder pleite war, was sich bei seinem Lebenswandel kaum vermeiden ließ. Wenn es so war, musste er sich nach Geld umsehen, und da kam ihm das bald fällige Erbe ihres Vaters gerade recht.
Das Geld, das nicht wohltätigen Organisationen oder kranken Kindern zugute gekommen war, hatte der Richter in etliche Entziehungskuren und Therapien Forrests investiert - ein Fass ohne Boden. Etliche Jahre blanker Geldverschwendung. Schließlich »exkommunizierte« der Alte seinen Sohn Forrest auf die ihm eigene Art und Weise, indem er ihn aus der Vater-Sohn-Beziehung hinauswarf. So viele Jahre lang hatte er Ehen geschieden, Eltern ihre Kinder weggenommen, Kinder an Adoptiveltern vermittelt, geistig kranke Menschen für immer wegschließen lassen und straffällige Väter in den Knast geschickt - alles drastische und schwer wiegende Urteile, die er durch seine Unterschrift besiegelt hatte. Als er seinerzeit Richter geworden war, war die Autorität ihm vom Bundesstaat Mississippi verliehen worden, doch gegen Ende seiner Laufbahn nahm er nur noch von Gott persönlich Befehle entgegen.
Wenn irgendein Vater in der Lage war, seinen Sohn zu verstoßen, dann Chancellor Reuben V. Atlee.
Forrest jedoch tat so, als hätte ihm das nichts ausgemacht. Er hielt sich für einen Freigeist und gab damit an, Maple Run neun Jahre lang nicht mehr betreten zu haben. Einmal, nach einem der drei väterlichen Herzinfarkte, als der Arzt die Familie zusammentrommelte, besuchte er den Richter im Krankenhaus. Überraschenderweise war er damals nüchtern. »Zweiundfünfzig Tage, Bruderherz«, flüsterte er Ray zu, während sie im Flur der Intensivstation warteten. In der Anfangsphase des Entzugs war er geradezu vernarrt in Zahlen.
Sollte der Richter tatsächlich Pläne hegen, Forrest in seinem Testament zu berücksichtigen, würde das diesen am meisten überraschen. Aber wenn die Chance bestand, dass er durch das Erbe Geld in die Finger bekam, wür-de er zur Stelle sein und jeden Krümel auflesen.
Über der New River Gorge in der Nähe von Beckley in Westvirginia wendete Ray, um sich auf den Rückweg zu machen. Fliegen war zwar preiswerter als der Psychotherapeut, aber deshalb keineswegs billig. Die Uhr lief. Sollte er in der Lotterie gewinnen, würde er die Bonanza kaufen und überallhin fliegen. In zwei Jahren stand ihm das Professoren zugebil-ligte Sabbatical zu, das eine willkommene Erlösung von den Strapazen des akademischen Alltags sein würde. Man würde von ihm erwarten, dass er in dieser Zeit seinen Achthundert-Seiten-Wälzer zum Thema Monopole abschloss, und es bestand eine realistische Chance, dass er das auch schaffte.
Sein Traum war allerdings, die Bonanza zu mieten und damit in den Himmel zu entschwinden.
Zwanzig Kilometer westlich des Flugplatzes meldete er sich beim Tower, der ihn über die Anflugvorschriften informierte. Da nur ein leichter Wind aus unterschiedlichen Richtungen ging, würde die Landung ein Kinderspiel werden. Beim Anflug, als Ray noch etwa eineinhalb Kilometer von der Rollbahn entfernt war und die Flughöhe seiner kleinen Cessna schul-buchmäßig verringerte, meldete sich über Funk ein anderer Pilot. Dem Fluglotsen stellte er sich als »Challenger-two-four-four-delta-mike« vor, seine Position war zwanzig Kilometer weiter nördlich. Der Tower erteilte ihm die Landeerlaubnis, aber die Cessna hatte Vorrang.
Ray konnte die Gedanken an das andere Flugzeug gerade lange genug verdrängen, um eine Bilderbuchlandung hinzulegen. Dann verließ er die Landepiste und rollte auf die fahrbare Treppe zu.
Eine Challenger ist ein Privatjet kanadischer Bauart, der je nach Modell für acht bis fünfzehn Passagiere ausgelegt ist. Damit kann man ohne Zwischenlandung von New York nach Paris fliegen, und zwar auf luxuriöse Art und Weise, weil ein Flugbegleiter Drinks und Mahlzeiten serviert. Eine neue Challenger kostet etwa
Weitere Kostenlose Bücher