Der Richter
schlechtem Wetter oder nachts, und auch nach drei Jahren Flugerfahrung war Ray noch entschlossen, lieber als Feigling zu gelten als zu viel zu riskieren. »Es gibt alte Piloten und verwegene Piloten, aber keine alten verwegenen Piloten«, besagte eine Flieger-weisheit, und Ray war von ihrer Richtigkeit überzeugt.
Außerdem war das zentrale Virginia viel zu schön, um in einer Wolkende-cke darüber hinweg zu fliegen. Da wartete er lieber auf perfektes Wetter -
kein Wind, der seine Maschine erfasste und die Landung komplizierte, kein Nebel, der seine Sicht behinderte und ihn die Orientierung verlieren ließ, keine Bedrohung durch Sturm oder Regen. War der Himmel während des Joggens klar, bestimmte das in der Regel seinen weiteren Tagesablauf. Er konnte das Mittagessen vorziehen oder hinauszögern, eine Lehrveranstaltung ausfallen lassen und seine wissenschaftliche Arbeit auf einen Regentag verschieben. Oder auf eine verregnete Woche. War der Wetterbe-richt günstig, machte Ray sich auf den Weg zum Flugplatz.
Die Docker’s Flight School lag nördlich der Stadt, fünfzehn Minuten Fahrt von der juristischen Fakultät entfernt. An der Flugschule angekommen, wurde Ray stets mit den üblichen rüden Sprüchen begrüßt. Dick Docker, Charlie Yates und Fog Newton waren ehemalige Militärpiloten, und ihre Flugschule hatte die meisten Freizeitpiloten der Gegend ausgebildet.
jeden Tag saßen sie auf alten Klappstühlen im so genannten »Cockpit«, dem Büro der Flugschule, zusammen, wo sie literweise Kaffee tranken und endlose wahre oder erlogene Geschichten aus dem Fliegerleben erzählten, die stündlich fantastischer wurden. Ob es ihm gefiel oder nicht, jeder Kunde und Flugschüler bekam hier seinen Teil an verbalen Unverschämtheiten ab. Die Reaktionen kümmerten die drei nicht. Sie erhielten eine üppige Pension.
Als Ray auftauchte, animierte sie das prompt dazu, die neuesten An-waltswitze zu erzählen, von denen zwar keiner besonders witzig war, deren Pointen sie aber laut johlen ließen.
»Kein Wunder, dass Sie keine Flugschüler haben«, sagte Ray und widmete sich den Formularen.
»Wohin soll’s gehen?« fragte Docker.
»Ich will ein paar Löcher in den Himmel bohren.«
»Dann alarmiere ich schon mal die Jungs von der Flug-Sicherung.«
»Dafür sind Sie doch viel zu beschäftigt.«
Nach zehn Minuten, in denen er die Mietformulare für das Flugzeug ausfüllte und weitere Schmähungen über sich ergehen lassen musste, war Ray startklar. Für achtzig Dollar pro Stunde konnte er eine Cessna mieten, mit der er sich fünfzehnhundert Meter über die Erde erheben und die Welt hinter sich lassen konnte: Menschen, Telefone, Autos, seine Studenten, die wissenschaftliche Forschung und vor allem seinen kranken Vater, seinen verrückten Bruder und die unvermeidliche Misere, mit der er es in Clanton zu tun bekommen würde.
Neben der fahrbaren Treppe gab es Abstellplätze für dreißig Flugzeuge.
Die meisten waren Hochdecker-Cessnas mit nicht einziehbaren Fahrgestel-len, die noch immer die sichersten Maschinen waren, die man jemals gebaut hatte. Aber es gab auch einige ausgefallenere Modelle. Neben seiner Cessna stand eine prachtvolle einmotorige Beech Bonanza mit zweihundert PS. Mit ein bisschen Training würde Ray sie innerhalb eines Monats fliegen können. Das Flugzeug war fast hundertdreißig Stundenkilometer schneller als die Cessna und verfügte über genügend technische Einrichtungen und Flugelektronik, um das Herz jedes Piloten höher schlagen zu lassen. Doch nicht genug damit - die Beech Bonanza stand für vierhundertfünfzigtausend Dollar zum Verkauf. Das lag zwar außerhalb von Rays Möglichkeiten, doch nicht zu weit. Laut den neuesten Informationen aus dem »Cockpit« baute der Besitzer des Flugzeugs Einkaufszentren und war jetzt auf eine King Air scharf.
Ray wandte sich von der Bonanza ab und konzentrierte sich auf die kleine Cessna daneben. Wie alle noch relativ unerfahrenen Piloten inspizierte er das Flugzeug sorgfältig anhand einer Checkliste. Fog Newton, sein Ausbil-der, hatte jede Flugstunde mit Horrorstorys über Brände mit Todesfolge eröffnet, die jene Piloten verursachten, die entweder zu faul oder zu sehr in Eile waren, um eine Checkliste zu benutzen.
Als er sich vergewissert hatte, dass an der Außenseite der Maschine alles in Ordnung war, öffnete er die Tür und schnallte sich im Cockpit an. Der Motor begann zu schnurren, das Funkgerät knisterte. Nachdem er eine weitere Liste über
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