Der Ripper - Roman
nicht getötet zu haben. Obwohl sie nie jemanden umgebracht hatte, wusste sie um die Bürde einer solchen Tat.
Seither habe ich nicht wenig Kerle zur Hölle geschickt und mehr als nur eine Mütze Schlaf darüber verloren. Viel mehr als das Töten selbst peinigt meine Seele jedoch, den ein oder anderen Lumpen nicht eher getötet zu haben.
Wie auch immer, Barnes jedenfalls war noch unter den Lebenden. Ihm den Rest zu geben, schien uns beiden seinerzeit das Falsche, aber ich machte mir Sorgen, was passieren würde, wenn er wieder erwachte.
Als Mutter mit ihrer Predigt fertig war, stand ich auf und sagte: »Wir müssen uns um ihn kümmern. Sonst wird er sich wieder auf uns stürzen.«
»Ich fürchte, da hast du Recht.«
Wir starrten ihn beide an. Bis jetzt hatte er kein Glied gerührt. Aber er schnarchte leise.
»Ich hab’s«, sagte ich und eilte auf mein Zimmer. Einen Augenblick später kam ich mit einem Paar Handschellen aus Stahl zurück, einem Weihnachtsgeschenk meines Onkels William, der davon überzeugt war, ich würde eines Tages einen guten Konstabler abgeben und mir diesen Beruf schmackhaft zu machen wünschte.
Gemeinsam rollten Mutter und ich Barnes auf den Bauch. Ich legte ihm die Hände auf den Rücken und ließ die Handschellen um seine Handgelenke einrasten.
Wir standen auf und bewunderten unser Werk.
»Das müsste funktionieren«, sagte Mutter.
»Soll ich gehen und einen Bobby holen?«
Ihre Miene verfinsterte sich. Sie schüttelte den Kopf. »Man würde ihn mit Sicherheit in den Kerker werfen.«
»Genau dort gehört er auch hin!«
»Oh, mir wäre aber lieber, das könnte vermieden werden.«
»Mum! Er hat dich ausgepeitscht! Zu schweigen davon, was er noch alles hätte anrichten können. Er gehört bestraft.«
Sie schwieg eine Weile und fuhr sich einige Male über die Wange. Einmal zuckte sie zusammen, woran vermutlich der traurige Zustand ihres Rückens schuld war. Schließlich sagte sie: »Bill würde wissen, was zu tun ist.«
Das hörte ich gern.
Bill würde wissen, was zu tun war.
Einen Blick auf den Rücken seiner Schwester, und er würde Barnes das zukommen lassen, was er verdient hatte.
»Ich gehe und hole ihn«, sagte ich.
Mutter sah auf die Uhr auf dem Kaminsims. Ich ebenfalls. Es war fast neun. »Warte lieber bis morgen früh«, sagte sie.
»Er tritt seinen Dienst erst um Mitternacht an. Ich könnte ihn bequem rechtzeitig erwischen.«
»Aber der Regen.«
»Die paar Tropfen werden mir schon nicht schaden.« Ich stopfte das blutige Taschentuch wieder in die Hosentasche
und hob den Feuerhaken auf. »Behalte den in deiner Nähe, und zögere nicht, ihn auch zu benutzen.«
Sie akzeptierte ihn mit einem Nicken.
Ich eilte in mein Zimmer und holte das Klappmesser mit dem Elfenbeingriff - ein weiteres Geschenk meines Onkels. Ich wollte es Mutter überlassen. Eine scharfe Klinge würde Barnes vermutlich eher als ein Feuerhaken dazu veranlassen, sich gesittet zu benehmen. Doch dann fiel mir ein, dass sie sich wahrscheinlich scheuen würde, eine so tödliche Waffe zu benutzen, also steckte ich es in die Tasche.
Und das war auch gut so. Später sollte mir das Messer das Leben retten.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, schnarchte Barnes noch immer. Ich zog meinen Mantel an.
Mutter gab mir ein paar Schilling. »Nimm eine Droschke, mein Liebling.« Dann drängte sie mir einen Schirm auf.
Sie küsste mich auf die Stirn.
»Sei vorsichtig, Mum«, sagte ich. »Du darfst ihm nicht vertrauen.«
Dann ging ich los.
2
Ich breche auf
Von der Straße aus schaute ich zu unseren hellen, freundlichen Fenstern hinauf, ohne mich um den kalten Regen auf meinem Gesicht zu kümmern. Was mich kümmerte, war, Mutter mit Barnes zurückgelassen zu haben, und ich wünschte mir, ich hätte fester zugeschlagen. Er würde aufwachen, und Mutter in ihrer herzensguten und vergebenden Art würde Mitleid für ihn empfinden.
Sie würde seine Schmerzen lindern wollen. Es war sogar durchaus vorstellbar, dass sie ihm die Handschellen abnahm, damit er die Arme recken, es sich gemütlich machen und eine Tasse Tee trinken konnte, und in diesem Augenblick würde er wieder über sie herfallen.
Allerdings würde sie Mühe haben, den Schlüssel der Handschellen zu finden, weil der nämlich in meiner Hosentasche steckte.
Dieser Gedanke flößte mir eine gewisse Zufriedenheit ein, und genau in diesem Augenblick trat Mutter an eines der Fenster. Sie entdeckte mich und hob die Hand. Ich winkte zurück, ohne zu ahnen,
Weitere Kostenlose Bücher