Junge Liebe 050 - Bye,bye, Mauerblümchen
Der letzte Schultag
Mann, was geht einem da alles durch den Kopf. Es ist der letzte Schultag. So viele Jahre haben wir uns hier alle gequält … nein, Korrektur, wir wurden gequält. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Lehrer mit seinem Examen auch einen Grundkurs im Schüler-Quälen bekommt. Ob das auch eine Prüfung ist?
Ich stand an der Treppe, beobachtete meine Mitschüler – meine Noch-Mitschüler und überlegte, wie wohl eine Lehrer-quält-Schüler Prüfung aussehen würde. Vielleicht eine Art Rollenspiel, eine praktische Prüfung, wo sich zwei zukünftige Lehrer gegenüber sitzen. Einer mimt den Pauker, der andere den Schüler. Behandelt werden einzelne Bereiche eines alltäglichen Unterrichts: mündliche Aufgaben, Klausuren, zu Spätkommen, quatschen im Unterricht. Ich bin sicher, dass meine Mathelehrerin glanzvoll bestanden hat, oder hätte, vorausgesetzt, es gäbe so eine Prüfung.
Oh, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Jacob Thomas Julian Paul Lorenz, ich bin achtzehn Jahre alt und habe heute meinen letzten Schultag. Okay, das sagte ich bereits. Was ist noch wichtig zu meiner Person? Nun, ich bin mittelgroß, mittelbrünett und laut dem Urteil meiner Schulkameraden … mittelmäßig. Ich bin ein Mauerblümchen, eine graue Maus, ein Loser. Wie immer man es nennen möchte. Solche Typen gibt es überall. Sie verbringen die Pause allein, machen nie den Mund auf, ziehen den Kopf ein, wenns mal lauter wird. Mann, mein Glück ist es, dass ich kein Streber bin. Das wäre mein Untergang gewesen. Im Grunde haben sie mich weitestgehend in Ruhe gelassen. Meistens. Fast immer. Wenn man das so im Ganzen sieht, könnte man meinen, meine Schulzeit wäre schrecklich gewesen. Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine Freundin. Also … sie ist eine Freundin, nicht meine Freundin. Sie ist … meine beste Freundin. Laura Herwig. Es gab mal eine Zeit, da war sie in mich verliebt. Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Sie hat es mir in einem Anfall von Sauforgie mitgeteilt, kurz vor dem Sauf-Koma und dem Sauf-Blackout. Ich habe es zur Kenntnis genommen, aber nie wirklich für voll genommen. Jaja, schon klar. Einige denken jetzt sicher: In seiner Position noch Ansprüche stellen …
Das tue ich nicht. Nein, wirklich nicht. Aber ihr kennt Laura nicht. Sie ist eine wirklich, wirklich … wirklich liebe Freundin, die ich unheimlich gern hab … aber, nun ja, sie sieht nicht gerade vorteilhaft aus. Eine ungebändigte, glanzlose Naturlockenpracht, die ein Sommersprossen übersätes Gesicht in Feuerrot einrahmt. Dazu süße Hasenzähnchen und eine Brille, die Bierflaschenböden Konkurrenz macht. Naja, aber sie ist wirklich nett.
Da stand ich nun, etwas abseits von einer Gruppe Jugendlicher, die es kaum erwarten konnte, endlich ihr Abschlusszeugnis in der Hand zu halten. Im Moment ließen sie ihre Schulzeit Revue passieren. Wie es schien, hatten sie alle zusammen reichlich etwas angestellt. War ich auf der gleichen Schule gewesen? Ich hatte davon nichts mitbekommen.
Schwänzen – negativ
Abschreiben – negativ
Heimlich rauchen – negativ
In der Schule rummachen – negativ
Und das waren noch die harmlosen Dinge, die sie aufzählten.
Howard Zubien, ein großer, dunkelblonder Kleiderschrank – wobei nicht genau raus war, ob es Fett oder Muskelmasse war, entdeckte, dass ich ihnen zuhörte. Nun muss ich noch eines sagen. Als ich heute morgen die Augen aufgeschlagen hatte und mir bewusst geworden war, dass dies der letzte Schultag war, hatte ich beschlossen, mein Mauerblümchendasein an den Nagel zu hängen und denen zu zeigen, dass ich durchaus … leben konnte. Nun, ich hoffte es jedenfalls.
Howard musterte mich abfällig. „Uhh … schaut mal, Jakey will mitreden!“ Er kam auf mich zu und legte seinen Arm um mich. „Was hast du denn so angestellt?“, fragte er zuckersüß. „Eselsohren in dein Buch geknickt? Schlimm, schlimm.“ Gelächter kam auf, welches ich langsam und lächelnd nickend quittierte.
„Jaah, das auch“, antwortete ich, „und ich habe beobachtet, wie deine Freundin es sich von Frankmann besorgen lässt. Weißt du, im Grunde ist es mir ja egal, aber es sah geil aus.“ Kurz überlegte ich, ob es erbärmlich in den Ohren der anderen klang, wenn ich, statt selbst Sex zu haben, anderen dabei zusah. „Ich bin ein Spanner. Das ist meine Jugendsünde. Ich gebs zu“, setzte ich lapidar hinterher und zuckte mit den Schultern.
Howard starrte mich an, dann glitt sein Blick zu Ralf Frankmann,
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