Der rostende Ruhm
fünfzehn Jahre lang nur geschlafen, sich erholt, neue Kräfte gesammelt. Sie setzten die Ligaturen schnell und fest – sie reseptierten den Dickdarm, sie legten die Anastomose an, sie räumten sogar einen angenommenen Tumor aus. Ein Eingriff, den Dr. Werth erst in der zweiten Sitzung als Nachoperation vollführen wollte.
Die Affen hinter ihm im Käfig waren still. Schliefen sie oder rochen sie den dumpfen, süßlichen Blutgeruch, der den kleinen Raum ausfüllte und sich unter dem Licht des Scheinwerfers staute?
Bei der Anlegung der Anastomose schellte das Haustelefon. Bergh beachtete es nicht. Er war wie in einem Rausch. Ein Glückstaumel überkam ihn – er hätte singen können, während er die Darmnähte setzte.
Ich kann es noch! Ich kann es noch! Meine Finger gehorchen mir, mein Hirn hat nichts vergessen! Ich habe die Qualifikation eines Chefarztes! Ich bin ein großer Chirurg! Ich sehe es ja selbst – ich glaube wieder an mich! Ich weiß, daß es kein Hindernis mehr gibt!
Das Telefon schrillte weiter. Er stieß es mit dem Ellenbogen vom Tisch und trat es weg unter die Marmorbank, wo sonst in verschließbaren Kübeln die Kadaver der sezierten Ratten standen.
Dann operierte er weiter – selig vor seinem Können, von einer Fröhlichkeit befallen, die an Hysterie grenzte. Er pfiff durch das Mundtuch, als er die Darmpassage annähte und merkte nicht den Schweiß, der ihm in Strömen über die Stirn, das Gesicht, die Augen hinab in den Kragen und über die Brust lief und das Mundtuch durchnäßte.
Ich kann operieren, dachte er immer wieder. Ich kann es! Ich habe heute fünfzehn Jahre weggewischt wie einen staubigen Belag! Ich habe die Zeit besiegt, die Vergangenheit zusammenschrumpfen lassen und das Tor zur Zukunft aufgestoßen!
Ich habe gesiegt!
Als er die letzten Hautnähte setzte, blickte er auf den Wecker auf der Fensterbank.
Zweiundzwanzig Uhr fünfzehn.
Er hatte neun Minuten weniger gebraucht als Dr. Werth.
Da setzte er sich auf einen Schemel, riß das Mundtuch vom Gesicht und schloß erschüttert die Augen.
Hinter sich, im Käfig, hörte er ein Greinen.
Die Affen weinten vor Angst …
Vier Wochen später trat Dr. Martin Bergh seine Stelle als Chefarzt des St.-Emanuel-Krankenhauses in Wien an – und zwei Wochen später traf seine Ernennung zum Ehrenprofessor der Universität von Ankara ein. Der türkische Geschäftsträger überreichte ihm die Ernennungsurkunde in der Botschaft im Rahmen eines kleinen, feierlichen Abendessens. Die Spitzen der Ärzteschaft waren anwesend. Seine Magnifizenz, die Presse, ein Vertreter des Bundespräsidialamtes, Damen der Gesellschaft, Josef Teschendorff mit Frau Brigitte, die an Dr. Bergh vorbeisah, als sei er ein Nebelschwaden, der ihre Sicht behindert. Baron v. Boltenstern, das gesamte Kuratorium, Oberarzt Dr. Werth. Und Dr. Paul Czernick, der Kommissionär der staatlichen Gesundheitsbehörde.
»Es ist ein großer Tag für uns alle«, sagte Dr. Czernick. »Die Anerkennung Ihrer Forschungen im Ausland wirft auch ein helles Licht auf unser Land. Und wir werden vor allem Ihren Entschluß zu würdigen wissen, Ihre wertvollen Erkenntnisse und Ihr Können weiterhin unserem Lande zugute kommen zu lassen.«
Brigitte Teschendorff gab Bergh bei der Gratulation kühl die Hand. Ihr hochmütiges Gesicht war bleich, die Augen mit dunklen Rändern unterlegt, als habe sie nächtelang nicht geschlafen.
»Jetzt werden Sie für Privatpatienten wohl überhaupt keine Zeit mehr haben – Herr Professor?« sagte sie kalt.
»Für akute Fälle immer!« schlug er zurück.
Brigitte Teschendorff zog die Augen bis zu einem Schlitz zusammen. »Ruhm ist nicht aus Gold«, sagte sie leise. »Er ist nur vergoldetes Blech. Und Blech rostet …«
Sie wandte sich schroff ab und ließ Dr. Bergh stehen.
Mit der Verleihung des Professorentitels änderte sich wiederum die Umwelt Dr. Berghs.
Er war als Chefarzt des St.-Emanuel-Krankenhauses mehr denn je nur ein Aushängeschild, das Hunderte Patienten der vermögendsten Kreise in die Klinik lockte. Vor allem die Damen der Gesellschaft, Schauspielerinnen, reiche Töchter und Filmstars suchten das Krankenhaus auf, oft nur wegen einer Influenza, einer Gastritis oder einer Migräne. Es gehörte zum guten Ton, einmal von Prof. Bergh behandelt worden zu sein, bei einer Visite vor ihm im weißen Bett liegen zu können und mit klopfendem Herzen seine grauen Schläfen und die hellen Augen zu bewundern.
Durch den hysterischen Taumel der Damenwelt ging
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