Der rostende Ruhm
Professor Bergh hindurch wie in einem Asbestanzug durch lodernde Flammen. Er tat seinen Dienst am Krankenbett, er empfing die neuen Patienten und ertrug ihre Verzückung, er verabschiedete sie und schickte ihnen Rechnungen ins Haus, die trotz ihrer Höhe jenseits aller Diskussionen lagen und bezahlt wurden. Er hielt Vorträge in Deutschland, der Schweiz, in Frankreich, Italien und Schweden; er fuhr kreuz und quer durch Europa, flog zu einem Kongreß nach London und referierte über Aminosäuren in der karzinösen Zelle. Er sammelte Ehrungen, Kritiken und Gehässigkeiten und hob seinen Ruhm über die Vergeßlichkeit des Alltags hinaus.
Aber – er operierte noch nicht!
Nur nachts, wenn er allein in seinem umgebauten Haus war, wenn Erna schlief und die Nachbarschaft träumte, zog er alle Jalousien des erweiterten Laboratoriums zu und begann, auf dem blanken Marmortisch das Lehrbuch der Chirurgie in der Praxis zu wiederholen.
Kapitel um Kapitel. Angefangen von der simplen Appendektomie oder dem Aufschneiden eines vereiterten Fingers bis zur völligen Entknochung des Brustkorbes wegen tuberkulöser Empyenresthöhle. Er übte die Resektion von Brustwandsarkomata und die riesige Radikaloperation des Krebses des unteren Drittels der Brustspeiseröhre. Er übte Operationen, die selbst in großen Universitätskliniken zu den Seltenheiten gehörten.
Und er operierte sie gut. Vollendet. Sicher. Zwar starb ein Affe an postoperativer Herzinsuffizienz, aber die anderen Tiere überlebten die Eingriffe. Es waren mittlerweile fünfzehn Affen geworden, die in einem neu erbauten Stall neben dem Labor von der schimpfenden und mit Kündigung drohenden Erna verpflegt wurden.
In der Klinik überließ er den OP völlig seinem Oberarzt Dr. Werth und den Assistenten. Schließlich operierte er doch einen leichten Fall – einen Bruch, eine Zyste, eine Fußamputation und eine Darmfistel, um zu zeigen, daß er der Chef war, daß auch die kleinen Dinge nicht zu schade für seine geniale Hand seien. Standen schwere Fälle auf dem Operationsplan oder wurden kritische Fälle eingeliefert, fuhr er zu Vorträgen oder Kongressen und vertraute auf seine Ärzte.
Man fand das selbstverständlich. Ein Mann wie Prof. Bergh gehörte nicht einer Klinik allein. Er gehörte der Welt! Erschien er im St.-Emanuel-Krankenhaus, war es, als steche man mit einem Stab in einen Ameisenhaufen. Seine Visiten glichen einem Aufmarsch einer weißen Armee. Die Zimmer und Stationen füllten sich mit Ärzten, Schwestern, Helfern und Praktikanten, die jede Handbewegung beobachteten, jedes Wort in sich aufspeicherten und alle Wünsche wie in einem Zauberreich erfüllten.
Der Erfolg gab Prof. Bergh recht.
Karel Barnowski, das Sorgenkind des Kuratoriums, erschien eines Tages bei ihm im Chefzimmer.
»Lassen Sie mich Ihnen die Hand drücken, Herr Professor!« rief er schon an der Tür, bevor sie geschlossen wurde. »Der Ruf unserer Klinik geht über Österreich hinaus in die Welt. Wie mir der kaufmännische Direktor sagt, liegen Anfragen aus Deutschland, Schweiz, Frankreich und sogar aus den USA vor! Aus Amerika kommt man zu uns! Das haben wir nur Ihnen zu verdanken! Selbst der knurrige Teschendorff hat gestern gesagt: ›Dieser Bergh macht seinem Namen alle Ehre!‹«
»Bestimmt tut er das«, sagte Bergh kühl.
Da die Unterhaltung versandete, verließ Barnowski nach zehn Minuten wieder die Klinik und fuhr in sein Stammcafé, um einen Melange zu trinken und die Abendblätter zu lesen.
Prof. Bergh hatte schon seinen Mantel übergeworfen und zog gerade die Handschuhe an, als es klopfte und Schwester Angela von der Privatstation den Kopf ins Zimmer steckte. Sie war bleich und rang vom schnellen Lauf nach Atem.
»Herr Professor!« rief sie. »Kommen Sie schnell! Frau v. Pudzuna geht es schlecht …«
»Warum rufen Sie mich nicht sofort von der Station an?« rief Bergh. Er warf seinen Mantel auf die Erde und schleuderte die Handschuhe weg.
»Ihr Telefon ist abgestellt …«
»Und wo ist Dr. Werth?«
»Außer Haus, Herr Professor. Er hat seinen freien Abend. Heute ist doch Mittwoch …«
»Und Dr. Thoma?«
»Ist bereits bei der Patientin. Er läßt Sie bitten, sofort zu kommen. Er meint, es sei ein Heus …«
»Das muß in meinem Haus passieren?« schrie Prof. Bergh. »Wie ist ein postoperativer Darmverschluß möglich? Wer hat Frau v. Pudzuna operiert?«
»Herr Oberarzt Dr. Werth!«
»Ich komme sofort!«
Schwester Angela verschwand aus der Tür. Durch den Spalt
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