Der Rubin im Rauch
den Rand der Zeitung
gekritzelt hatte, ging sie zum Büro von Mr. Temple in Lincolns Inn.
Es war ein schöner Morgen nach dem endlosen Nieselregen der
vergangenen Nacht; die Sonne hob ihre Stimmung. Mr. Temples
Angestellter empfing sie. Der Anwalt war sehr beschäftigt, in der Tat
sehr beschäftigt, aber er könnte dazu bewegt werden, sich fünf
Minuten lang mit ihr zu unterhalten. Sie wurde in sein Büro geführt,
Mr. Temple, kahl, schlank und munter, stand auf und schüttelte ihr die
Hand.
„Wieviel Geld habe ich, Mr. Temple?" fragte sie, nachdem sie sich
begrüßt hatten.
Er langte nach einem großen Buch und schrieb einige Zahlen
nieder.
„450 Pfund, 2 ½%ig, in Schatzbriefen, 180 Stammaktien der
London und South Eastern Railway Company; 200 Vorzugsaktien der
Royal Mail Steam Navigation Company... Willst du das wirklich alles
wissen?"
„Ja, bitte alles." Sie verfolgte es in der Zeitung, während er vorlas.
Er fuhr fort. Es war keine lange Liste.
„Und das Einkommen", schloß er, „beläuft sich auf rund
herausgesagt -- "
„Etwa vierzig Pfund im Jahr", sagte sie.
„Woher weißt du das?"
„Ich hab 's ausgerechnet, während Sie die Liste vorgelesen haben."
„Guter Gott."
„Und ich nehme an, ich kann über mein Geld verfügen?"
„Zum großen Teil. Meiner Ansicht nach viel zu sehr. Ich habe
versucht, deinem Vater davon abzuraten, aber es konnte ihn nichts von
seiner Meinung abbringen -- so habe ich also das Testament nach
seinen Anweisungen verfaßt."
„Gut, daß Sie da keinen Erfolg hatten. Mr. Temple, ich möchte, daß
Sie veranlassen, 300 Pfund der Schatzbriefe zu verkaufen und gleiche
Anteile bei folgenden Gesellschaften zu kaufen: The Great Western
Railway Company, the Gas, Light and Coke Company und C. H.
Parsons, Ltd."
Sein Kinn fiel herunter, aber er schrieb ihre Anweisungen auf.
„Außerdem", fuhr sie fort, „verkaufen Sie bitte diese Vorzugsaktien
der Pacific Steam Navigation Company und kaufen Sie Stammaktien
der P & O. Das sollte das Einkommen auf etwas über fünfzig erhöhen.
Ich werde mich in etwa einem Monat wieder darum kümmern,
wenn... wenn ich Zeit habe. Ich nehme an, daß zur Zeit für mich
Zahlungen an Mrs. Rees gehen?"
„An Mrs. Rees wurde gezahlt...", er blätterte eine Seite um.
„Hundert Pfund beim Tode deines Vaters. Das war natürlich eine
Erbschaft, keine Bezahlung für irgendwelche geleisteten Dienste. Die
Verwalter -- zu denen ich gehöre -- haben sich geeinigt, daß das
Einkommen aus dem Trust für dich an Mrs. Rees gezahlt werden
sollte, solange du unter ihrem Dach bleibst."
„Aha", bemerkte Sally. Diese Frau hatte Sallys ganzes Einkommen
erhalten, während sie sie beschuldigte, ihr auf der Tasche zu liegen!
„Also", fuhr sie fort, „ich habe die Sache mit Mrs. Rees besprochen,
und es wird wohl das Beste sein, wenn das Einkommen ab sofort an
mich persönlich gezahlt wird. Könnten Sie veranlassen, daß es auf
mein Konto bei der Zweigstelle der London und Midland Bank
überwiesen wird?"
Mr. Temple machte definitiv einen bekümmerten Eindruck. Er
seufzte und notierte es sich, sagte aber nichts.
„Ach, übrigens, Mr. Temple, könnte ich jetzt etwas Geld
bekommen? Sie haben zwar kein laufendes Konto erwähnt, aber es
muß doch eines geben."
Er blätterte eine Seite in seinem Hauptbuch um. „Es beläuft sich auf
einundzwanzig Pfund, sechs Schillinge und neun Pennies", sagte er.
„Wieviel möchtest du abheben?"
„Zwanzig Pfund, bitte."
Er öffnete eine Kassette mit Bargeld und zählte das Geld in
Goldmünzen ab.
„Miss Lockhart, ich möchte dich nur fragen -- ist das klug?"
„Ich möchte es so. Und ich habe das Recht dazu, und deshalb wird
es so gemacht. Ich verspreche Ihnen, Mr. Temple, daß ich Ihnen eines
Tages den Grund nennen werde. Oh -- da wäre noch was..."
Er schob die Kassette mit dem Bargeld beiseite und sah sie an.
„Ja?"
„Hat mein Vater je einen Major Marchbanks erwähnt?"
„Ich habe den Namen schon gehört. Ich glaube, daß dein Vater ihn
viele Jahre lang nicht mehr gesehen hat. Ein Freund aus seiner
Armeezeit, glaube ich."
„Oder eine Mrs. Holland?"
Er schüttelte den Kopf.
„Oder so was wie die ,Sieben Wohltaten'?"
„Was für eine eigenartige Bezeichnung. Nein, Miss Lockhart, das
hat er nie erwähnt."
„Ich werde Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Mr. Temple;
aber wie steht es eigentlich mit dem Anteil meines Vaters bei seiner
eigenen Firma? Ich hatte erwartet, daß das ja schließlich was wert
Weitere Kostenlose Bücher