Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
Vom Netzwerk:
singen.« Im nächsten Jahr, wenn er dreizehn war, würde er auf dem Thing sein eigenes Schwert erhalten und als waffenfähiger Krieger in den Sippenverband aufgenommen werden. Ein Jahr noch! Es fiel ihm schwer, so lange zu warten. »Und Ihr? Was ist Euer größter Wunsch?«
    »Ihr werdet mich auslachen, wenn ich es sage.«
    »Das werde ich nicht.«
    »Ich   … ich möchte einmal, nur ein einziges Mal eine Nymphe sehen«, platzte sie heraus. »Man sagt, sie seien schön und zerbrechlich. Wie oft schon habe ich einem Baum oder einem Strauch Opfer gebracht, aber noch nie hat sich mir eine gezeigt.«
    »Mir auch nicht«, sagte Gislher, »aber Ivo, unser Stallbursche, ist einer Oreade begegnet, einer Bergnymphe. Er erzählt oft davon.«
    Beide schwiegen eine lange Zeit. Sie hatten die Augen geschlossen und sogen die verheißungsvolle Atmosphäre dieser besonderen Nacht in sich auf. Ein Versprechen lag in der Luft, die Kraft der Erneuerung. Dietlind fasste es als Erste in Worte. »Wenn die Sonne zurückkehrt, sind wir nicht mehr dieselben.«
    »Wir werden etwas Neues sein, etwas, dessen Größe und Bedeutung wir noch gar nicht kennen.«
    »Auf dem Weg hierher trafen wir einen Mann, der den ganzen Tag auf einer Säule stand und vom Gott der Christen sprach und die alten Bräuche verfluchte. Ich begreife nicht, warum sie Sonnenwendfeiern für etwas Schlechtes halten. Sie fühlen nicht die Bedeutung dieser Nacht, oder?«
    »Sie leugnen sogar, dass Bäume und Quellen eine Seele haben. Ist das nicht töricht? Jeder, der einen Baum berührt, kann sein megin spüren.«
    »Es ist ein seltsamer Glaube, dem sie folgen. Der Mann auf der Säule hat mir Angst gemacht. Er war so unerbittlich.«
    Gislher wusste, was sie meinte. Die Strenge der Christenprediger machte ihn immer schaudern. »Ihr Glaube muss ohne jede Freude und ohne Ekstase sein. Sie lieben das Leben nicht.«
    »Dabei ist es voller Schönheit! Es gibt so viel zu sehen und zu erfahren, so viel, was ich lernen möchte! Sogar Pflanzen und Sträucher verraten einem ihre Geheimnisse, wenn man genau hinhört.«
    »Sie sprechen zu Euch?«
    Dietlind errötete. »Vater sagt, ich besäße Kräuterheil. Mutter lehrt mich alles, was sie darüber weiß, aber auch sie meint, sie könne mir eigentlich nichts mehr beibringen.«
    »Ich weiß nicht, was für eine Art Heil ich besitze«, erwiderte Gislher nachdenklich. »Sicher kein Königsheil. Trotzdem, ich fühle, dass die Nornen Großes mit mir vorhaben. Im nächsten Jahr werde ich auf dem Thing als freier Krieger in die Sippe aufgenommen. Dann bin ich ein Mann und werde alles daran setzen, soviel Ruhm zu erwerben wie Sigfrid.«
    »Wird König Gunter Euch Euer Schwert überreichen?«
    Der Niflunge nickte stumm.
    »Ihr vermisst Euren Vater, nicht wahr?«
    Gislher beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Für ein Mädchen verstand sie ziemlich viel. »Ich wünschte, er könnte mir mein Schwert geben«, vertraute er ihr an. »Ich liebe meinen Bruder, aber es ist eben nicht dasselbe.«
    »Wisst Ihr schon, wen Ihr zur Frau nehmen werdet?«
    Gislher wurde rot. Gespräche über Eheverbindungen machten ihn verlegen. »Nein. Und ich bin froh darüber. Ich will überhaupt nicht heiraten.«
    »Ich schon. Wenn Liebe zwischen mir und meinem Mann ist, wie zwischen meinem Vater und meiner Mutter. Ich glaube, dann kann man alles erreichen, was man will. Das megin aus der Verbindung eines Mannes und einer Frau ist viel stärker als die beiden einzelnen megins zusammen.«
    »Ja, jeder kann sehen, dass Eure Eltern großes Heil miteinander haben.« Der Rausch des Trankes stieg Gislher allmählich zu Kopf. Er blinzelte. Die Sterne schienen klarer und näher als zuvor.
    »Wie nah sie sind!«, seufzte Dietlind, als hätte sie seine Gedanken erraten.
    Gislher blickte sie an, und seine durch den Trank geschärften Sinne sahen sie in einem goldenen Licht. Sie schien von innen heraus zu strahlen. Schwerfällig drehte er den Kopf. Er hatte die vielen Menschen, die mit ihnen das Sonnenwendfest feierten, völlig vergessen, aber da waren sie, Männer und Frauen, und jeder von ihnen strahlte dieses goldene Licht aus. Jeder schien eine Sonne zu sein. Gislher rieb sich die Augen und sah ein zweites Mal hin, aber das Leuchten blieb. Plötzlich fühlte er eine starke Verbindung zu ihnen, mehr noch, er fühlte sich eins mit den Vögeln, den Pflanzen, den Würmern, ja, mit der Erde selbst.
    Dietlind nahm ein Amulett von ihrem Hals. »Ich möchte Euch dies hier schenken«,

Weitere Kostenlose Bücher