Der Ruf Der Walkueren
spüren. Er fühlte nichts, er dachte nichts, hockte einfach nur da und existierte. Lange kauerte er in dieser Stellung und starrte in die Flammen. Dann erhob er sich, ohne auf den Protest seiner eingeschlafenen Glieder zu achten, und entfernte sich mit durchgebogenem Rücken. Auf dem Weg zur Burg sah er keinen Menschen, obwohl es auf und um den Hügel von ihnen nur so wimmelte. Er holte sein Pferd, das unwillig über die nächtliche Ruhestörung schnaubte, saß auf und ritt davon.
Sobald er sich auf ebenem Gelände befand, ließ er den Hengst ausholen. In fliegender Hast ging es den steinigen Weg entlang, was in der Dunkelheit riskant war. Nach einer Weile wich Hagen von der Römerstraße ab. Er sah nicht, wohin er ritt, und es interessierte ihn auch nicht. Das Tier raste in halsbrecherischem Tempo durch Sträucher und Dornbüsche, über Wurzeln und Steine. Unbarmherzig schlug der Waffenmeister auf das Pferd ein und trieb es zu noch schnellerem Galopp an. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, ein- oder zweimal strauchelte der Hengst; es war ihm egal. Leicht konnte er sich bei diesem wahnwitzigen Ritt das Genick brechen; auch das war ihm egal. In ihm tobte ein Dämon, der danach verlangte, befreit zu werden, und Hagen konnte oder wollte sich ihm nicht widersetzen.
Die Götter mussten wohl Pläne mit ihm haben, denn er lebte noch, als der Morgen graute. Irgendwie hatte sein Pferd einen ausgetretenen Pfad gefunden, dem es folgte. Hagen wusste weder wie lange er geritten war, noch wo er sich befand. Längst hatte er Tolbiacum und den unmittelbaren Herrschaftsbereich der Niflungen hinter sich gelassen, und noch immer fand er keine Ruhe. Der Hengst war schweißnass und zitterte von dem Gewaltritt. Im blassen Licht des beginnenden Tages konnte der Waffenmeister allmählich Einzelheiten seiner Umgebung ausmachen. Er gelangte an eine Brücke über einen Bach. Müde trottete das erschöpfte Pferd über die Holzplanken.
Plötzlich wurde sein Weg von zwei Reitern versperrt. Der eine war von gedrungener Statur, besaß keine Zähne mehr, und seine Haut war voll hässlicher dunkler Flecken. Der zweite war groß und hager und vollkommen kahl. Er schien der Anführer zu sein, denn der andere wartete offenbar auf einen Befehl von ihm. Beide trugen abgewetzte Kleidung. Ihre Pferde waren vermutlich gestohlen.
Brutal riss Hagen an den Zügeln. Schmerzvoll wiehernd kam sein Hengst auf der Brücke zum Stehen. Ein Instinkt veranlasste den Waffenmeister, den Kopf zu drehen. Hinter ihm kam ein dritter Reiter aus dem Gebüsch und schnitt ihm den Fluchtweg ab. Eine Unmenge Narben entstellten sein vielleicht einmal hübsches Gesicht.
Mit schiefem Grinsen beobachteten ihn die drei.
»Ein schönes Tier«, sagte der Kahlköpfige.
»Und sieh dir seine kostbare Kleidung an«, bemerkte der Zahnlose an seiner Seite. »Das lohnt sich ja richtig.«
Der Anführer der Wegelagerer sah den Waffenmeister an. »Steigt einfach ab und zieht Euch aus, vielleicht lassen wir Euch am Leben.«
Hagen sagte kein Wort. Er studierte die Männer. Sie besaßen die Haltung von Kriegern, die das Kämpfen gewohnt waren. Ihre Schwerter waren einfach, aber das zerkratzte Eisen und die Scharten in den Schneiden verrieten, dass sie nicht nur als Schmuck dienten. Und er selbst hatte bei der kopflosen Flucht aus Tolbiacum versäumt, sein Schwert mitzunehmen.
Kaltes Feuer erfüllte Hagen, als er seine Chancen abwägte. Etwas in ihm freute sich auf den bevorstehenden Kampf, sehnte ihn sogar herbei. Mit einer zärtlichen Bewegung zog er seinen Dolch, eine Damaszenerklinge. Der Römer, dem er sie abgekauft hatte, hatte ein Vermögen dafür verlangt, aber die Waffe war jedes Goldstück wert.
Die Wegelagerer lachten. »Er zieht seinen Dolch«, wieherte der Anführer, »wir sollten fliehen, so lange wir noch können.«
»Zu spät«, sagte Hagen und griff an. Mit einem Satz war er von der Brücke und drängte sein Pferd zwischen die beiden Krieger vor ihm. Die Verblüffung stand noch auf dem Gesicht des Zahnlosen, als ihm der Dolch mitten ins Herz fuhr. Er wollte etwas sagen und seiner Verwunderung Ausdruck geben, aber er war schon tot, noch ehe sein lebloser Körper den Boden berührte.
Die Wegelagerer waren es gewohnt, dass ihre Opfer flohen, und brauchten einen Augenblick, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. Der Hagere fing sich als Erster, er war der gefährlichste der Männer. Mit wutverzerrtem Gesicht hieb er auf den Waffenmeister ein. Die Todesgefahr missachtend
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