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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Prolog
     
    EAST TEXAS, JULI 1889
    Der Skorpion saß regungslos auf dem Handrücken des Spielers. Ein Beben erschütterte den gerippten, ledrigen Körper – der Schwanz war erhoben, der Stachel zuckte krampfhaft –, aber die aggressiven Instinkte des Insekts wurden im Zaum gehalten von einer überlegenen Macht, die sein simples Nervensystem nicht in Frage stellen konnte.
    Es wußte nur: Noch nicht.
    Der Spieler spürte, wie dieselbe Macht ihn an den Boden drückte wie eine flache Felsplatte. Alle Viere von sich gestreckt, Muskeln und Knochen verschmolzen. Seine Augen, wild und weit aufgerissen, konnten sich noch bewegen, und er sah den Skorpion, nicht aber den buckligen Prediger, der hinter ihm auf und ab schritt, daß seine Stiefel über den verkrusteten Lehm knirschten. Entsetzen schrillte durch den Spieler, laut jaulend wie in dieser italjänischen Oper, die er in St. Louis gesehen hatte. Seine Gedanken fraßen sich fest, die Wörter schmolzen wie Schnee im Frühling, ehe sie Gestalt annehmen konnten, und der Verstand, an dessen Ausbildung er so hart gearbeitet hatte, war jetzt so nutzlos wie ein ausgetrockneter Brunnen.
    Der Prediger kam in Sicht, blieb stehen, spuckte dem Spieler einen heißen Strahl Tabaksaft ins starre Gesicht und lächelte auf den Unglücklichen herunter, der in Weste und Gamaschen stramm gespannt wie ein Zelt im Staub lag.
    »Das verspreche ich dir: Einer, der mich beim Pokern betrügt, mein Freund, erhält von mir mehr als eine Kugel zum Dank«, sagte der Prediger im honigsüßen Näselton eines Mannes aus Alabama. »Gib gut acht, mein Sohn, und ich will dir eine Belohnung zuteil werden lassen, die angebrachter ist als eine Messerklinge in deinem Bauch.«
    Der Prediger schüttelte die Arme und fühlte, wie das Heilige Feuer durch seine Wirbelsäule heraufrumpelte: O ja, dachte er, so belohnt unser Herr Seinen treuen Diener. Meine unablässige Pein, jene schwarze, lange Straße mitten hinunter durch meinen Geist, alles vergessen: Ich habe empfangen die Saat des Propheten! Ich bin auserwählt! Die Vision, die seit einigen Monaten in meine Träume kommt, ist ein Geschenk von Gott, meine Bestimmung steht vor mir, so klar wie Eis: Ich werde die Völkerscharen in die Einöde führen und erbauen ein neues Jerusalem in der Wüste. Wir werden den Hammer der Erlösung niederfahren lassen auf eine ruchlose Welt.
    Mit einem höhnischen Grinsen schaute der Prediger auf den Spieler hinunter: Und dieser Möchtegern-Zocker mit dem As im Stiefel und dem Derringer im Gürtel und all die übrigen Prärie-Pißköpfe mit Kuhmist an den Schuhen sind ein Haufen leerer Gefäße, die darauf warten, daß ich ihre mickrigen Seelen mit Sinn erfülle. Der Erzengel trägt mich auf seinen Schwingen empor und erfüllt meine Seele mit Macht’.
    Und wie er es geübt hatte, packte der Prediger die Macht, die in seinem Innern tobte und ließ sie, gleich dem gewaltigen Lichtkegel eines Leuchtturms, in die Wüste frei. Ein trockenes Rascheln war die Antwort. In der untergehenden Sonne erwachte der Sand zu kochendem Leben. Der Prediger beschirmte die Augen und spähte hinaus: Zangen, Schuppen, spitzige Klauen, eine lebendige Woge, die rasselnd heranschwärmte. Klapperschlangen, Tausendfüßler, Nattern, Kröten, Taranteln, allesamt gefangen im Netz der magnetischen Verheißung seines Wortes.
    Der Prediger verdrehte den krummen, ewig steifen Hals in gespielter Überraschung ob dieses Anblicks.
    »Ja, du liebe Güte«, flüsterte er, »wer hätte gedacht, daß da draußen so viele davon sind?«
    Die Woge von Skorpionen und Spinnen und Schlangen erhob sich und erstarrte jäh nur einen Zollbreit vor dem Spieler; wie eine Wand umrahmte sie den Körper dort im Staub, überragte ihn bebend und verdunkelte den Sonnenuntergang, aber der taumelnde Verstand des Mannes brachte keinen Sinn mehr in das, was er sah.
    Der Prediger streckte die Hände aus, und sein Wille floß in den wimmelnden Schwarm; von einem einzigen Geist beseelt, kroch das Gewürm voran und bedeckte den Körper des Spielers ganz und gar; sein matter Atem sickerte rauh durch einen Wald von geschäftig wimmelnden Gliedern. So erstarrten die Kreaturen, gelähmt wie der Mann unter ihnen, und warteten gehorsam auf die nächste Anweisung.
    Der Prediger trat zurück, verschränkte die Arme und strich sich übers Kinn – die Parodie eines Malers, der bewundernd vor seiner Leinwand steht.
    »Die Gestalt eines Mannes, dargestellt in Insekten und Reptilien. Mir scheint … wir

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