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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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überrascht, die fremde Frau eintreten zu sehen. Sie hatte den Trenchcoat abgelegt. Darunter war ein fast verführerisch eng anliegender cremeweißer Pullover zum Vorschein gekommen. Strike konzentrierte sich auf ihren Haaransatz.
    »Ja?«
    »Ein Klient für Sie. Soll ich ihn hereinbitten?«
    »Ein was?«
    »Ein Klient, Mr. Strike.«
    Er sah sie mehrere Sekunden lang verständnislos an und versuchte, die Information zu verarbeiten.
    »Ja, in Ordnung, Sandra … Nein, geben Sie mir bitte noch ein paar Minuten, dann führen Sie ihn herein.«
    Sie zog sich ohne Kommentar zurück.
    Strike verschwendete keine Zeit darauf, sich zu fragen, weshalb er sie Sandra genannt hatte, sondern sprang auf und machte sich daran, ein bisschen weniger wie ein Mann auszusehen und zu riechen, der in seinen Klamotten geschlafen hatte. Er wühlte eine Zahnpastatube aus der Sporttasche unter dem Schreibtisch hervor und drückte sich gut sieben Zentimeter Zahncreme in den Mund. Dann bemerkte er, dass seine Krawatte vom Waschbecken nass war und sein Hemd blutbefleckt. Er riss sich beides vom Leib, dass die Knöpfe nur so von der Wand und vom Aktenschrank abprallten, zerrte ein sauberes, wenn auch stark verknittertes Hemd aus der Tasche, zog es über und knöpfte es ungeschickt mit seinen dicken Fingern zu. Anschließend versteckte er die Sporttasche hinter dem leeren Aktenschrank und setzte sich, wischte sich den Schlaf aus den Augen und fragte sich, ob dieser angebliche Klient tatsächlich ein solcher und noch dazu bereit war, Geld für detektivische Dienstleistungen auszugeben. Während seines achtzehnmonatigen Abstiegs in den finanziellen Ruin hatte Strike lernen müssen, dass beides keineswegs selbstverständlich war. Noch immer hatten zwei seiner Klienten ihre Rechnungen nicht vollständig bezahlt. Ein dritter hatte sich sogar geweigert, überhaupt einen Penny zu berappen, da ihm Strikes Ermittlungsergebnisse nicht behagt hatten. Aufgrund seiner wachsenden Schuldenlast und der Tatsache, dass eine Mietanpassung für das Innenstadtbüro drohte, das er einst so freudig bezogen hatte, konnte sich Strike auf keinen Fall einen Anwalt leisten. Daher waren seit Kurzem unsanftere, gröbere Methoden des Geldeintreibens bevorzugter Gegenstand seiner Tagträume. Nur zu gern hätte er mit angesehen, wie der selbstgefälligste seiner Schuldner zitternd vor Angst im Schatten eines Baseballschlägers kauerte.
    Wieder öffnete sich die Tür. Schnell zog Strike den Zeigefinger aus der Nase, setzte sich kerzengerade hin und versuchte, so aufgeweckt und geistesgegenwärtig wie möglich zu wirken.
    »Mr. Strike? Mr. Bristow für Sie.«
    Der potenzielle Klient trat hinter ihr in das Büro. Der erste Eindruck sprach für ihn – obwohl der Fremde mit seiner zu kurz geratenen Oberlippe, die die großen Schneidezähne nicht ganz verdeckte, etwas eindeutig Hasenhaftes an sich hatte. Sein Teint war teigig, und der Dicke seiner Brillengläser nach zu urteilen war er stark kurzsichtig. Sein dunkelgrauer Anzug hingegen war elegant geschnitten und wirkte ebenso teuer wie der schimmernde eisblaue Schlips, die Armbanduhr und die Schuhe.
    Beim Anblick des blütenweißen Hemds wurde sich Strike der tausend Falten in seiner eigenen Kleidung gleich doppelt bewusst. Er stand auf, um sich Bristow in seiner vollen Größe von eins zweiundneunzig zu präsentieren, hielt ihm die am Rücken stark behaarte Hand hin und versuchte, den Kleidungsvorteil seines Besuchers mit der Aura eines Mannes wettzumachen, der zu beschäftigt war, als dass er sich um seine Wäsche kümmern könnte.
    »Cormoran Strike. Sehr erfreut.«
    »John Bristow.«
    Sie gaben sich die Hand. Bristows Stimme war angenehm, kultiviert und ein wenig unsicher. Sein Blick verharrte auf Strikes Veilchen.
    »Kann ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?«, fragte Robin.
    Bristow bat um einen schwarzen Kaffee, Strike antwortete gar nicht; er hatte soeben eine junge Frau mit buschigen Augenbrauen in einem altbackenen Tweedkostüm entdeckt, die auf dem abgewetzten Sofa neben der Zwischentür im Vorzimmer saß. Dass gleich zwei mutmaßliche Klienten zur selben Zeit erschienen, war denkbar unwahrscheinlich. Ob sie ihm etwa noch eine weitere Aushilfe geschickt hatten?
    »Und für Sie, Mr. Strike?«
    »Was? Oh – schwarz, zwei Stück Zucker bitte. Danke, Sandra«, sagte er gedankenverloren. Ihr Mund zuckte leicht, bevor sie die Tür wieder hinter sich schloss. Erst da fiel ihm ein, dass er weder Kaffee noch Zucker im Haus hatte.

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