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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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zwei Minuten«, teilte Detective Sergeant Eric Wardle beim Betreten des Zeltes dem Handy an seinem Ohr mit und beantwortete damit unbeabsichtigt die Frage seines Vorgesetzten. »Habe gerade einen Parkplatz organisiert.«
    Carver grunzte. Seine Gereiztheit wurde noch geschürt durch die Vermutung, dass sein Kollege die Anwesenheit der vielen Fotografen aufregend fand. Seiner Meinung nach hatte der jungenhaft gut aussehende Wardle, auf dessen dichten braunen Locken nun eine dünne Schneeschicht lag, bei den wenigen Malen, als sie das Zelt verlassen hatten, auffällig lange herumgetrödelt.
    »Zumindest sind wir die los, sobald die Leiche weg ist«, sagte Wardle mit einem Blick zurück auf die Fotografen.
    »Nicht, wenn wir weiterhin so tun, als wäre das hier ein beschissener Tatort.«
    Wardle überhörte den unausgesprochenen Vorwurf geflissentlich. Und Carver geriet nur noch mehr in Rage.
    »Das dumme Ding ist gesprungen. Da war niemand bei ihr. Ihre sogenannte Zeugin war zugekokst bis zum …«
    »Sie kommen«, sagte Wardle. Zu Carvers Missfallen schlüpfte er wieder aus dem Zelt, um im Scheinwerferlicht die Ankunft des Rettungswagens abzuwarten.
    Die Story verdrängte Politik, Kriege und Naturkatastrophen von den Titelseiten. Kein Artikel, kein Bericht verzichtete auf ein Bild des makellosen Gesichts und des geschmeidigen, wohlgeformten Körpers der toten Frau. Innerhalb von Stunden hatten sich die wenigen bekannten Fakten wie ein Virus über ein Millionenpublikum verbreitet; der öffentlich ausgetragene Streit mit ihrem ebenso bekannten Lebensgefährten, der einsame Nachhauseweg, das angebliche Geschrei in der Wohnung und schließlich der tödliche Sturz …
    Der Lebensgefährte floh in eine Entzugsklinik; die Polizei verweigerte jeden Kommentar. Fieberhaft wurde nach all jenen Personen gesucht, die sie an dem besagten Abend zu Gesicht bekommen hatten. Das Thema füllte Tausende von Zeitungsspalten und stundenlange Sondersendungen. Die Frau, die Stein und Bein schwor, kurz vor dem Aufschlag des Körpers einen weiteren Streit gehört zu haben, gelangte zu kurzzeitigem Ruhm und wurde auf kleineren Bildern neben den Fotos der toten Schönheit gezeigt. Dann stellte sich – gefolgt von einem fast hörbaren enttäuschten Aufstöhnen der Öffentlichkeit – heraus, dass die Zeugin gelogen hatte, woraufhin diese sich in eine Entzugsklinik zurückzog, während der prominente Hauptverdächtige wieder auf der Bildfläche erschien. Wie in einem Wetterhäuschen, wo die Sonnenfrau und der Regenmann niemals gleichzeitig zu sehen sind.
    Also doch Selbstmord. Nach kurzem sprachlosem Innehalten bekam die Story noch einmal etwas Rückenwind. Jetzt hieß es, die Tote sei unausgeglichen und labil gewesen; dem Status als Superstar, den ihre Wildheit und Schönheit ihr eingebracht hatten, nicht gewachsen; dass die sittenlosen Superreichen, mit denen sie sich umgeben hatte, sie verdorben hätten; dass die Dekadenz ihres neuen Lebens ihre ohnehin schon fragile Persönlichkeit völlig aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Ihr Ende wurde zu einer Moralgeschichte, die vor Schadenfreude triefte. Und die Vergleiche mit Ikarus waren so zahlreich, dass Private Eye dazu einen Extrabeitrag brachte.
    Dann endlich flaute die Sensationsgier ab, und die Journalisten konnten nur noch berichten, dass schon viel zu viel berichtet worden war.

DREI MONATE SPÄTER

TEIL EINS
    Nam in omni adversitate fortunae infelicissimum est genus infortunii, fuisse felicem.
    Welche Wendung zum Schlechten das Schicksal auch nehmen mag, so ist der Unglücklichste unter den Unglücklichen jener, der einst glücklich war.
    BOËTHIUS, ÜBER DEN TROST DER PHILOSOPHIE

1
    Obwohl Robin Ellacotts fünfundzwanzigjähriges Leben nicht frei von aufregenden und dramatischen Ereignissen gewesen war, so hatte sie doch nie zuvor das Bett in der festen Gewissheit verlassen, dass sie den anbrechenden Tag für den Rest ihres Lebens im Gedächtnis behalten würde.
    Gestern um kurz nach Mitternacht hatte ihr langjähriger Lebensgefährte Matthew ihr unter der Eros-Statue mitten auf dem Piccadilly Circus einen Heiratsantrag gemacht. In dem Taumel der Erleichterung, der auf ihr Ja hin folgte, gestand er ihr, dass er sie eigentlich schon während des gemeinsamen Abendessens in dem Thai-Restaurant hatte fragen wollen; ein Vorhaben, das jedoch von dem schweigenden Pärchen am Nebentisch, das jedem Wort ihrer Unterhaltung lauschte, durchkreuzt wurde. Deshalb schlug er trotz Robins Protesten –

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