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Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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für Bionik bekam ich die Bestätigung: Es war vor zwei Jahren gelungen, eine Art »lebender Kristalle« zu züchten, Hochpolymere aus organischen Substanzen, die wachsen und sich vermehren, bis man sie fixiert, und die man unter anderem wie anorganische Kristalle für holografische Aufzeichnungen benutzen kann. Es dauerte drei Tage, dann hatten sie herausbekommen, wie man die Informationen aus den künstlichen Fischaugen abrufen konnte, und ich bekam endlich zu sehen, was Tiny mir mitzuteilen hatte. Die Aufzeichnung begann mit einem persönlichen Communic:
    Lieber Freund!
    Dies ist der siebente Versuch, Ihnen Nachricht zukommen zu lassen, vor allem: den zweiten Teil meiner »Memoiren«. Daß Sie den ersten Teil erhalten und veröffentlicht haben, erfuhr ich schnell, inzwischen konnte ich es sogar lesen! Mit der Art, wie Sie die Storys bearbeitet haben, bin ich einverstanden, nur den Titel finde ich unangemessen, ich bitte Sie: »Wer stiehlt schon Unterschenkel?«!Also wählen Sie dieses Mal bitte einen seriöseren Titel. Ich hoffe doch, daß Sie auch diese Geschichten publizieren werden, denn ich bin »eitel, arrogant und versnobt« genug, anzunehmen, daß nicht nur Sie selbst erfahren wollen, was sich zwischen dem »Fall der Drossel« und meinem Verschwinden zugetragen hat.
    Wenn Sie diese Aufzeichnungen gelesen haben, werden Sie wissen, warum ich Ihnen die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilen durfte – und ahnen, wie es mir jetzt geht. Was Ihre Vermutung betrifft: Ich habe die Geschichten selbst geschrieben – genauer: meine Erlebnisse fixiert und jemand, dessen Namen ich noch nicht preisgeben darf, hat mir dann geholfen, sie in diese Form zu bringen –, auf Anraten, ja auf Anordnung meines Arztes. Er glaubte, ich könne auf diese Weise mit meinen Depressionen fertig werden, und er hat offensichtlich recht. Es hilft zwar nicht, das Geschehene zu vergessen, wohl aber, es zu verarbeiten, was heißt: damit leben zu können.
    Daß Sie nach mir suchen ließen, erfuhr ich zu spät, so konnte ich Ihrem Bekannten nicht einmal die Nachricht zuspielen, daß ich und – auf gewisse Weise – auch Napoleon noch leben.
    Ich hoffe, Sie haben die Flasche »Old Finch« noch nicht ausgetrunken. Ich bin fest entschlossen, Sie eines Tages zu besuchen. Wann, das steht leider nicht einmal in den Sternen, die ich jetzt so selten sehen kann.
    Bitte, geben Sie sofort Nachricht, daß Sie meine Sendung erhalten haben. Der Weg von DRAUSSEN zu uns ist ja viel unkomplizierter als umgekehrt, da wir neuerdings die WORLDNEWS hier empfangen können. Ich höre sie jeden Tag um 11.00 p.m. (Chicagoer Ortszeit). Sie werden es sicher arrangieren können, daß man in den »Gemischten Nachrichten« mitteilt, ein gewisser Timothy Napoleon Truckle habe einen neuen Weltrekord im Tiefflug aufgestellt (die Einzelheiten überlasse ich Ihnen).
    Herzlichst Ihr nicht mehr ganz der alte, doch immer noch treu verbundener
    Tiny
    Die Nachricht habe ich natürlich längst abgesetzt – nicht sofort: Ich brauchte ein paar Tage, bis sich der Chef der WORLDNEWS sprechen und überzeugen ließ.
    Und hier ist er nun, der zweite Teil der Geschichten von Timothy und Napoleon.
    Ich habe mich wiederum darauf beschränkt, die Storys aus dem Amerikanischen zu übersetzen und sie nur soweit bearbeitet, wie es mir für das Verständnis der Leser, die die Alte Welt nicht aus eigener Anschauung kennen, unbedingt erforderlich schien. Ich hoffe, daß Tiny der Titel dieses Mal seriös genug ist. Und wenn es ihm nicht zusagt – soll er kommen und mich zur Rede stellen. Der »Old Finch« steht noch bereit. Und ein paar Dutzend anderer Flaschen.

Der Samenbankraub
    1
    Timothy Truckle saß vor dem Spiegel und wartete auf das Wunder, das die Gebrauchsanweisung des Dermacolor-Präparats versprach. Er blickte äußerst skeptisch, und er griff immer wieder zu seinem Glas und nippte an dem Calvados, der ihm nach langem Überlegen dem Anlaß angemessen erschienen war; man wird schließlich nicht alle Tage blau, taubenblau, um es zu präzisieren, und mit Haut und – nein, die Haare würde er dann passend zu Haut und Anzug in einem rotbraunen Ton färben.
    Es begann unter den Augen. Fünf bange Minuten lang befürchtete Timothy, das Pigment würde sich nur in den Augenringen sammeln und ihm zwei überdimensionale Veilchen bescheren, doch dann strahlte der blaue Ton langsam über das Gesicht, verlief sich gleichmäßig, wuchs auch aus den Achselhöhlen über Brust und Arme, legte sich

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