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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sprach Bände.
    »Ich bin hier, weil ich Ihre Hilfe brauche, Professor«, sagte ich. »Ich gehöre nicht zu Ihren Feinden, ganz im Gegenteil.«
    Havilland lachte abfällig. »Und was wollen Sie dann hier?
    Archäologische Forschungen betreiben?«

    »Ich habe Ihren Namen aus einem Bericht in einer populär-wissenschaftlichen Zeitschrift«, gestand ich. »Es war nur Zufall, daß ich auf Sie gestoßen bin, glauben Sie mir.«
    »Zufall?« Havilland schnaubte. »So? Aber wenn Sie Hilfe brauchen, warum wenden Sie sich dann nicht an Lord oder einen der anderen? Es wäre viel einfacher gewesen.«
    »Die anderen arbeiten nicht in Mexiko«, sagte ich ruhig.
    Das wirkte. Havilland starrte mich einen Moment lang an, und ich konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Sein Mißtrauen war keineswegs besänftigt, aber ich hatte seine Neugier geweckt. Vielleicht hatte ich doch noch eine Chance.
    »Ich habe mich unter einem falschen Vorwand bei Ihnen eingeschlichen, ich gebe es zu, und es tut mir leid«, sagte ich.
    »Aber ich habe mich über Sie erkundigt, Professor. Man hat mir gesagt, daß Sie … sehr zurückgezogen leben und fast niemanden an sich herankommen lassen.«
    »Und deshalb haben Sie mir diesen Brief geschrieben und den Eindruck erweckt, daß Sie Hobby-Archäologe sind und die gleiche Theorie wie ich vertreten«, sagte Havilland.
    »Und Sie haben wirklich gedacht, Sie kämen damit durch?«
    »Nein«, räumte ich ein. Ich zögerte, dann entschloß ich mich, ihm endgültig die Wahrheit zu sagen. Havilland war kein Mann, den man belügen konnte. »Aber wenn ich Ihnen geschrieben hätte, warum ich wirklich an Ihrer Theorie interessiert bin, hätten Sie mir wahrscheinlich nicht einmal geantwortet.«
    »Und warum sind Sie es?« wollte Havilland wissen.
    Jetzt kam der gefährliche Moment. Mit ein wenig Pech würde ich mich in fünf Minuten draußen auf der Straße wiederfinden. Ich griff in meine Jacke, zog den Brief-umschlag mit den zehn engbeschriebenen Seiten heraus, den ich mitgebracht hatte, und legte ihn vor Havilland auf den Tisch.
    »Bitte, lesen Sie das«, sagte ich.
    Havilland sah mich überrascht an, griff dann aber gehorsam nach dem Umschlag und entnahm ihm das Manuskript, das er enthielt.
    »Der Sturm war weitergezogen, nachdem er die Schiffe eine ganze Nacht und einen Gutteil des Tages attackiert und hin und her geworfen hatte«, las Havilland. Er stockte, sah auf. »Was soll das?« fragte er.
    »Bitte, lesen Sie es«, sagte ich. »Es sind nur wenige Seiten.
    Danach … werden Sie mich besser verstehen.«
    Havilland zögerte, lehnte sich aber dann zurück und begann, diesmal leise und nur für sich, zu lesen …

    Der Sturm war weitergezogen, nachdem er die Schiffe eine ganze Nacht und einen Gutteil des Tages attackiert und hin und her geworfen hatte. Jetzt war das Meer wieder ruhig; die Wogen, die zum Teil halbe Masthöhe erreicht und die Decks überspült hatten, hatten sich geglättet, das Heulen des Windes war einer schon fast unheimlichen Stille gewichen.
    Trotzdem wurde es nicht richtig hell. Die Regenwolken hatten sich aufgelöst, aber die Sonne blieb hinter einem trüben grauen Schleier verborgen. Ihr Licht reichte kaum aus, um mehr als einen Steinwurf weit zu sehen. Feuchtigkeit lag wie farbloser Nebel über dem Meer und ließ die Schiffe der kleinen Flotte zu grauen Schatten werden, die sich lautlos wie Geister auf dem Wasser bewegten.
    Und wer weiß, dachte Hellmark müde, vielleicht waren sie ja tatsächlich nichts anderes mehr als Geister. Vielleicht waren sie längst über den Rand der Welt hinausgesegelt, ohne es überhaupt zu bemerken, und begannen jetzt allmählich zu verblassen, bis sie nichts weiter als körperlose Seelen waren, auf ewig dazu verdammt, das kalte Meer der Toten zu befahren.
    Er lächelte schwach. Natürlich war es nicht so. Die Schiffe, das Meer und er selbst waren höchst real, ebenso wie der Sturm, der sie eine Nacht und einen Tag lang gebeutelt hatte, der Hunger, der in ihren Eingeweiden fraß, und der Skorbut, der den ersten Männern bereits die Zähne ausfallen ließ.
    Aber es war nicht verwunderlich, an einem Tage wie heute, daß seine Gedanken plötzlich auf Wegen wandelten, die ihm sonst fremd waren, Und vielleicht sollte er sich diese kleine Schwäche sogar gestatten.
    Es war ein Tag der bösen Götter und Dämonen, nicht der Menschen, und das unbestimmte Gefühl von Furcht, das sich schon während der Nacht in Hellmarks Seele eingenistet hatte, war

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