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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Stück größer erscheinen ließ, als er ohnehin schon war, zurecht und sah den Mann fragend an. Er hatte während der gesamten Reise streng auf Disziplin geach-tet, sowohl auf seinem als auch auf den anderen Schiffen der Flotte.
    Vielleicht war es das, was ihn von den meisten anderen Wikingern unterschied. Aber vielleicht machte ihn das auch so erfolgreich, wenn auch nicht unbedingt beliebt.
    »Nun?« fragte er. Eine kaum hörbare Spur von Ungeduld schwang in seiner Stimme mit, und der Mann zuckte sichtlich zusammen.
    »Wir haben das Lot ausgeworfen, Herr«, sagte der Mann unsicher. »Die Wassertiefe nimmt bedrohlich ab.«
    Hellmark schwieg einen Moment. Seiner Schätzung nach hätten sie noch weit, sehr weit von der Küste entfernt sein müssen. »Vielleicht eine Sandbank«, murmelte er, mehr zu sich als zu dem anderen, aber der Mann nickte und sagte: »Es wäre besser, wenn wir Anker werfen und warten, bis sich die Sicht geklärt hat.«
    Hellmark wollte auffahren. Der Gedanke, so kurz vor dem Ziel noch einmal anzuhalten, nur wegen einer Sandbank oder einer lächerlichen Untiefe, versetzte ihn in Zorn. Aber der Gedanke, nach einer so langen Reise wie der ihren vielleicht auf Grund zu laufen und wenige Seemeilen vor dem Ziel jämmerlich zu ersaufen, nur um ein paar Stunden zu sparen, erschien ihm noch absurder, und so nickte er.
    »Gib Befehl dazu«, sagte er. »Und dann ruf die Hauptleute zu mir, auch die von den anderen Schiffen. Wir nähern uns unserem Ziel, und es gibt eine Menge zu bereden.«
    Der Mann nickte und entfernte sich rasch, froh, aus seiner Nähe verschwinden zu können. Überhaupt, das war Hellmark während der letzten Wochen der Reise immer stärker aufgefal-len, schienen ihn die Männer zu meiden, wo sie konnten, wenn sie auch auf einem so kleinen Schiff wie dem Drachenboot nicht sehr weit kamen. Trotzdem bestand eine Grenze zwischen ihnen, eine unsichtbare Mauer, die er sich nicht erklären konnte. Aber vielleicht war es auch ganz gut so. Es war nicht unbedingt ratsam für einen Flottenführer, sich zu sehr mit seinen Männern zu verbrüdern.
    Er wandte sich wieder um, stützte sich schwer mit den Unter-armen auf der hölzernen Reling ab und blickte in den Nebel hinaus. Wenn er nur lange genug hinsah und seinen Gedanken erlaubte, sich in den monotonen Rhythmus der Wellen zwängen zu lassen, die gegen den Rumpf klatschten, dann begann der Nebel zu leben, und er meinte Figuren und Gesichter und Gestalten zu erkennen.
    Sah diese Nebelwolke da drüben nicht aus wie ein gewaltiger Krieger mit Hörnerhelm und Schwert, und die daneben nicht wie Thor selbst, der seinen Hammer schleuderte? Hellmark lächelte, aber es wirkte nicht echt. Er wußte, daß die Einöde des Meeres auf Dauer auch den stärksten Geist zermürben konnte, und er wäre nicht der erste gewesen, der plötzlich anfing, Dinge zu sehen, die nicht da waren. Aber waren sie wirklich nur Einbildung?
    Mit einer heftigen Bewegung stieß er sich von der Reling ab und ging zum Heck des Schiffes, wo sich sein rot-weiß gestreiftes Zelt erhob. Es war eine jämmerliche Unterkunft für einen Heerführer wie ihn, und doch schon ein unglaublicher Luxus gegen den freien Himmel und die Wolken, die seine Männer während der letzten zwölf Wochen als Decken und Kissen gehabt hatten. Ächzend ließ er sich auf seinem Lager nieder, griff nach dem Schlauch mit Wein, der immer griffbe-reit neben ihm hing, und trank einen Schluck. Er fror plötzlich. Der Wein war schal und das Obst in dem Korb neben ihm angefault, wie fast alle Lebensmittel an Bord, und die Kissen, auf denen er saß, waren feucht, eine Feuchtigkeit, die während der letzten drei Monate in jede Pore des Schiffes gekrochen war und alles durchdrang. Mehr als Hunger und Durst hatte Hellmark diese klamme, kalte Nässe zu schaffen gemacht.
    Das Schiff erbebte fast unmerklich, als der Anker geworfen wurde und schon dicht unter der Wasseroberfläche Grund fand.
    Während die Männer ringsum ihn darangingen, das Segel, das sie gerade erst gesetzt hatten, wieder einzuholen und die Ruder wie ein gewaltiges Spalier beiderseits der Reling aufzurichten, ließ sich Hellmark zurücksinken und versuchte sich zu sammeln.
    Immerhin hatte er mit seinen Unterführern zu reden, und sie brauchten nicht unbedingt zu merken, wie nervös er war.
    Sie würden es nur falsch deuten und als Schwäche auslegen.
    Aber es gelang ihm nicht, die bedrückenden Gedanken ganz zu vertreiben.
    Was, wenn es nun keine Einbildung

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