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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Krause
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Bewusstsein ist der Sandner eh nicht zu gewinnen, das vermag ihm den Morgen nicht zu retten. Eher seine alte Jazzmama. Eine Archtop, Hoyer Spezial, natural, handgefertigt von Arnold Hoyer in den 50ern. Massive Hölzer.
    Der Sandner hat ein Faible für Dinge, die beständig sind und eine Geschichte zu erzählen haben beim Anschauen oder Beschnuppern. Er bildet sich manchmal ein, er könne etwas erlauschen. Ein Wispern aus der Vergangenheit. Dazu muss er auf der Gitarre nichts klimpern. Allein das Betrachten weckt in ihm ein warmes, kribbelndes Gefühl. Nicht satt sehen kann er sich. Wie wenn du ein Kunstwerk anschaust. Oder eine schöne Frau. Honigblond ist seine Hoyer, und die Perlmutt-Inlays auf dem Griffbrett glitzern verführerisch.
    Da kann er die Finger dann doch nicht weglassen. Er stellt die Tasse aufs Parkett und greift nach ihrem Hals. Parat im Ständer muss er sie haben, nicht im muffigen Koffer, wie in einem Sarg unter dem Bett – dort könnte das Instrument ihm unbeachtet wegsterben. Er zupft eine Saite an und streicht mit den Fingerspitzen über die Maserung. E-Moll, ein paar Takte Gershwin, Summertime. Weit weg verschlägt es ihn, in den Süden – tropfender Schweiß, der zwischen ausladenden Brüsten Rinnsale bildet, Brustwarzen, die sich unter nassen Baumwollblusen spitz aufrichten, sengende Sonne, Selbstgebrannter, der die Kehle verätzt, das Summen der satten, schwarzen Schmeißfliegen – und überall gelber Staub. Wie er da so sitzt, die Augen geschlossen, summend, nur in seiner Unterhose, hat er seinen Frieden mit der Uhrzeit geschlossen. Ein schönes Bild, beinahe episch.
    Jetzt presst er die Gitarre aus, verschleppt die Akkorde, bis sie jammert, dissonant und dreckig, Lee Hooker, »It serves me right to suffer«.
    Dass es jetzt an der Tür läuten muss, ist für den Sandner eine logische Konsequenz des Sonntagmorgen-Blues.
    Einen Moment lauscht er, mit angehaltenem Atem, fleht stumm um falschen Alarm. Umsonst. Wieder das Schellen. Gar nicht mehr aufhören will es.
    »Ja, reiß mir doch die Glocke ab, Depp.«
    Er muss sich arg zusammennehmen, dass er die Gitarre sanft zurück in den Ständer bringt. So wie er ist, hatscht er durch den Gang und reißt die Tür auf.
    Jesses! Seine schnellen Reflexe haben sich auszeichnen dürfen, obwohl er die Schinderei in der Boxfabrik längst schleifen lässt, sonst hätte sein Gesicht inmitten von verklebten Federn gesteckt. Förmlich zurück wirft es ihn. Was ihm da auf Augenhöhe entgegengereckt wird, ist ein toter Gockel! Nicht direkt Lebensgefahr, aber ohne Kissenbezug doch ein bisschen viel Natur am Morgen für den Sandner. Da hat er gleich eine Leich in der Früh, auch wenn’s bloß ein Viech ist.
    »Ja, spinn i«, bricht es aus ihm heraus. Er bräuchte den Gockel nicht mehr anzuschreien, weil wenn du guillotiniert worden bist, fehlt der eigene Antrieb – ergo keine Schuld.
    Den Gepetto gibt der Lehnharter, der das Viech am ausgestreckten Arm animiert, die Füße gepackt, der Hals schlenkert hin und her. Der Lehnharter ist Hauswart in der Lohstraße. Ein Bär von einem Mann, alternativ Troll, dreihundert Pfund, Frührentner mit kaputtem Kreuz, weil er sich als Klempner zu oft verbiegen musste. Den Schlangenmensch hat er gespielt, zwischen den Abflussrohren. Am Nachmittag verstehst du meistens schon kein Wort mehr von ihm wegen seinen alternativen Heilmethoden: Weißbierkrüge stemmen gegen den Schmerz. Das ist schon einer, dem man zutrauen kann, dass er jeden Morgen erst mal einen Fluch oder sonst etwas Lautes lässt, zur Prävention. Überdies hätte er auch die Eignung, schimpfende Amseln ans Garagentürl zu tackern oder Vierjährigen den Fußball zu zerschlitzen.
    Aktuell bringt er nix raus vor Aufregung, puterrot ist das pausbäckige Gesicht, er pumpt wie ein Maikäfer. Nur einen großen, stummen Schatten wirft er unter dem Deckenlicht, stocksteif, in seinem roten Rollkragenpulli und der blauen, verschlissenen Arbeitshose.
    Und der Sandner? Was willst du da sagen?
    »Selber gjagt?«, fragt er.
    Da kommt der Lehnharter in Wallung. Er schwenkt den Hahn hin und her, wie ein tollpatschiger Ministrant den Weihrauchkessel.
    Der Sandner muss auch gleich an eine Opfergabe denken. Wenn der Lehnharter noch auf die Knie gehen würde, mit dem kaputten Rücken – pure Selbstkasteiung.
    »Der ist vor meiner Tür gelegen«, maunzt der Hausmeister stattdessen. Seine Stimme will so gar nicht zur bärigen Statur passen, als tät grad ein Schimpanse zetern oder

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