Der Schachspieler
ein weiterer Bürokrat in einer Stadt, in der es von solchen Leuten nur so wimmelte. Jund hatte ihm am Telefon nichts Näheres sagen wollen, doch allein diese beunruhigende Geheimniskrämerei verriet einiges.
Es konnte keine andere Erklärung geben.
Cady riss den Kopf herum, als Jund mit der Aktentasche in der Hand eintrat, gefolgt von Elizabeth Preston, seiner rechten Hand. Mit ihnen betrat ein junger dunkelhäutiger Mann das Büro, den Cady nicht kannte. Alle trugen den gleichen grimmigen Gesichtsausdruck. Cady stand auf und streckte seinem alten Boss seine verkrüppelte Hand entgegen.
»Drew!« Jund setzte ein bemühtes Lächeln auf, schüttelte ihm die Hand und tat so, als bemerke er Cadys schlaffen Händedruck gar nicht. »Freut mich, Sie wiederzusehen. Sie erinnern sich doch sicher an Liz?«
»Natürlich«, nickte Cady. Ihm fiel auf, dass ihr schulterlanges Haar ein bisschen grauer geworden war. Sie schaute ihn mit einem undurchdringlichen Lächeln an, was Cady als gutes Zeichen wertete. Sie waren in der Vergangenheit einige Male aneinandergeraten. Er trug ihr nichts nach, doch er hätte nicht sagen können, wie es von ihrer Seite aus aussah.
»Und das ist Special Agent Fennell Evans, unser Wunderknabe vom FSRTC.«
»Nennen Sie mich bitte Fen.«
Cady streckte die Rechte über den Tisch hinweg aus und schüttelte Agent Evans die Hand. FSRTC stand für das Forensic Science Research and Training Center an der Akademie.
»Wie geht’s der Briefmarkensammlung?«, stichelte Jund.
»Ich sammele Münzen, Sir. Zufälligerweise ist mir wegen dieser Reise ein Exemplar durch die Lappen gegangen, hinter dem ich schon drei Monate her war.«
»Dafür lade ich Sie zum Abendessen ein. Vielleicht finden Sie etwas Interessantes beim Wechselgeld, wenn ich zahle.«
»Guter Scherz.«
Cady wusste plötzlich wieder, warum er für den Assistant Director schon immer eine Art Hassliebe gehegt hatte. Mit seinem Charisma manövrierte sich Jund stets gut durch die tückischen Gewässer des FBI: Immerhin war er in relativ kurzer Zeit in diese Führungsposition gelangt. Cady hatte ihn auch anders erlebt, wenn unter der glatten Fassade die Ecken und Kanten hervortraten. Eine Erfahrung, die er sich in Zukunft gern erspart hätte.
»Meine Leidenschaft ist Golf, Drew. Ich komme nur leider kaum dazu.« Und mit einem gedämpften Husten setzte sich Jund und deutete damit an, dass der Teil mit dem netten Geplauder nun ein Ende hatte. Er öffnete seine Tasche und zog eine Aktenmappe heraus. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überstürzt habe kommen lassen, Drew, aber Sie werden gleich den Grund verstehen, und auch, warum ich so ein Geheimnis darum mache.« Jund schlug die Akte auf der Seite mit der Zusammenfassung auf, ging den Text durch und brachte kleine Markierungen am Rand an.
»Wie Sie sicher wissen, wurde gestern Nacht ein Kommissar der Wertpapieraufsichtsbehörde, C. Kenneth Gottlieb, ermordet im Schlafzimmer seines Hauses aufgefunden. Mit einem Schuss in die Stirn getötet. In Anbetracht von Gottliebs Position enthält dieser Fall einigen politischen Zündstoff.«
»Ich hab’s am Flughafen auf CNN mitbekommen, aber nur sehr oberflächlich. Gibt es schon Verdächtige oder Festnahmen?«
»Noch keine Festnahmen, aber ich möchte Ihnen zuerst ein paar Dinge erzählen, bevor wir zu möglichen Verdächtigen kommen.« Der Assistant Director beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Der Tatort zeigt keine Spuren eines Kampfes, und Einbruchdiebstahl scheidet als Motiv aus: Es scheint nichts zu fehlen, obwohl es in dem Haus Schmuck gab, außerdem wertvolle Kunstwerke an den Wänden und einen Safe.«
»Vielleicht bekam er von einer Dame des Escortservices weniger, als er bezahlt hatte, und daraus hat sich ein Streit entwickelt.«
»Wir gehen natürlich alle möglichen Szenarien durch, aber nach dem, was ich Ihnen gleich sage, erscheint ein Sexverbrechen ziemlich unwahrscheinlich. Wie gesagt, Drew, der Täter hat nichts mitgenommen, sondern etwas zurückgelassen, und zwar so, dass wir es finden.« Jund wandte sich an den Forensikexperten: »Fen.«
»In der Eintrittswunde fanden wir eine Schachfigur, die …«
»Großer Gott.« Cady schaute auf die Narben an seiner rechten Hand hinunter.
»Das hab ich mir auch gedacht«, sagte Jund.
Vor drei Jahren, im Anschluss an den Chessman-Fall, war Cady im Krankenhaus mehrfach operiert worden und hatte danach noch einen Monat zu Hause verbracht, um die Schmerzmittel langsam abzusetzen. »Welche
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