Schroedingers Schlafzimmer
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»Hier ist gerade nichts los …«, sagte Oliver Schwarz, und seine Stimme im Hörer nahm einen dunkleren, anzüglichen Klang an, als er nach einer kurzen Pause hinzufügte: »… und ich stelle mir vor, daß du nackt bist.«
Do blieb stehen und sah sich um. Der Klang des Wortes nackt erschien ihr unerwartet hart und unpassend. Sie stand in ihrer Geschenkboutique mit den sorgfältig arrangierten Waren und der Aura der Kultiviertheit. Während der ersten Minuten des Gesprächs hatte sie ein paar Batistservietten zu kleinen gekerbten Fächern aufgefaltet. Doch bei nackt rutschte ihr der zwischen Kopf und Schultern eingeklemmte Hörer weg, und sie mußte ihn in die Hand nehmen, um ihn wieder ans Ohr zu führen.
Da sie nichts sagte, fühlte Oliver sich ermuntert, einen Schritt weiter zu gehen, und er fuhr fort: »Ich stelle mir vor, daß ich die Ladentür abschließe und nach hinten in die Werkstatt gehe …«, er sprach jetzt ein wenig überhastet und flüsterte fast, »… wo du nackt auf mich wartest, auf dem alten grünen Sofa, du weißt schon, mit geschlossenen Augen und breitbeinig, und ich …«
Was er sagte, rief ihr in Erinnerung, daß es einmal so |8| gewesen war: Sie hatte dort gesessen und auf ihn gewartet. Aber es gelang ihr nicht, sich mit dem Hörer in der Hand auf die erotische Echtheit seiner Fantasie einzulassen. Sie bedauerte es selbst, aber es ließ sich nicht ändern. Und um ihn nicht in die etwas gedämpfte Leere ihrer Stimmung an diesem Nachmittag laufen zu lassen, unterbrach sie ihn: »Oliver, es kann jederzeit jemand ins Geschäft kommen, sowohl bei mir als auch bei dir.«
»Heute ist Mittwoch«, erwiderte er mit normaler Stimme und ein wenig so, als sei er ungerecht behandelt worden. »Es ist absolut ruhig hier in der Straße.«
Ach ja, Mittwoch!, dachte Do. Das bedeutete, sie würde bis drei arbeiten und dann von Ruth abgelöst werden, um sodann Jenny zum Ballett und Jonas zum Fechten zu fahren. Danach bliebe ihr eine Dreiviertelstunde zum Einkaufen, bevor Jonas wieder abgeholt werden mußte. Wenigstens würde Jenny von Helma mitgenommen werden, um bis sechs mit Maja zu spielen. Dann wäre allerdings auch sie abzuholen, und um halb sieben würde Oliver aus dem Geschäft kommen und reden wollen über diesen aus seiner Sicht so ereignisarmen Mittwoch. Es stimmte schon, was Helma immer sagte: Tage sind Reißverschlüsse, und wenn es beim Verzahnen der Minuten irgendwo klemmt, bist du geliefert.
»Bist du noch dran?«, fragte Oliver.
»Ja, mir ist nur eingefallen, daß ich nicht vergessen darf, Crunchy-Honigflocken zu kaufen. Heute morgen waren keine mehr da.«
»Zu dumm«, sagte er ernüchtert und selbstmitleidig. »Ich denke an Sex und du ans Einkaufen.«
|9| »Ich würde auch gerne an Sex denken, Oliver.«
»Warum tust du’s dann nicht?«
»Was glaubst du denn, warum?«
Oliver war Optiker. Manchmal stellte Do – sie hieß Doris, aber Oliver hatte sie von Anfang an Do genannt – sich vor, wie er von all den leeren augenlosen Brillengestellen angestiert wurde, die in seinem Laden an den Wänden hingen. Er hatte sie angerufen, weil er sich nach ihr sehnte, und das konnte sie ihm nicht zum Vorwurf machen. Sie gab ihm ja recht: Sie schliefen zu selten miteinander. Versöhnlich, wenn auch mit einem bestimmten Schuß Ironie, der ihr unwillentlich entschlüpfte, sagte sie: »Vielleicht sollten wir einen bestimmten
Tag
dafür festlegen.«
Grimmig antwortete er: »Einen in der
Woche
oder einen im
Monat
?«
»Oliver«, beschwichtigte sie ihn. Sie nahm den Hörer ans andere Ohr und verschob mit der rechten Hand eine Duftkerze. »Es ist nicht so, als würdest
nur du
in dieser Hinsicht zu kurz kommen.«
»Sehr
präzise
ausgedrückt«, seufzte er resigniert. »Vielleicht sollten wir’s einfach mal wieder
tun
.«
»Du hast recht«, sagte sie und fügte entgegenkommend hinzu, allerdings mehr um das Gespräch jetzt zu beenden: »Wie wäre es denn mit heute abend?«
Geradezu gierig ging er darauf ein: »Ja, laß uns das unbedingt festhalten. Vergiß es nicht. Ich werde solange bohren, bis du dich wieder dran erinnerst.«
»Sei nicht ganz so präzise. Im übrigen warst du schon mal witziger«, sagte sie und senkte ihre Stimme, als hätte |10| soeben ein Kunde das Geschäft betreten: »Ich muß Schluß machen, es kommt jemand.«
»Na bestens. Wenigstens einer, der kommt«, knurrte er mißgelaunt. Sie spürte, daß er die Unehrlichkeit ihres Manövers durchschaute.
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