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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sein. Ja genau, das ist es. Das könnte ihr Ziel
sein. «
»Stern und North Star, das passt zusammen. Sie fährt
also in den Norden, vermuten Sie?« »Kein Zweifel. « An
»Wohin?«
»Nun, sie ist immer noch unterwegs. Das ist keine
exakte Wissenschaft, wissen Sie. «
»Das ist mir schon klar. Aber können Sie sagen, ob
Nordost oder Nordwest? Oder wie hoch im Norden sie
jetzt ist?« »Es wird immer schwächer. Sie dürfen nicht so
viel fragen«, sagte Mackinnon streng. »Jetzt ist es ganz
weg. «
»Na gut«, sagte Jim. »Machen Sie sich reisefertig. Ich
weiß nicht, wann Sie aus der Burton Street weggegangen
sind. Vielleicht wissen Sie noch nicht, dass Frederick tot
ist. Er war der beste Freund, den ich je hatte, und nie
werde ich einen besseren finden. Und jetzt ist auch noch
Sally weg und bringt sich womöglich in größte Gefahr.
Deshalb müssen wir sie finden, Sie und ich. Ich weiß
nicht, was ich tun würde, wenn auch noch Sally ihr
Leben lassen müsste. Ich liebe sie nämlich, Mackinnon.
Wissen Sie, was das heißt, lieben? Ich liebe sie so, wie
ich Fred geliebt habe, wie einen Freund. Wo Sally
hingeht, da gehe ich auch hin, und Sie müssen
mitkommen, denn vor allem wegen Ihnen sind wir in
diesen ganzen Schlamassel geraten. Also machen Sie
sich fertig und geben Sie mir das Kursbuch herüber. «
Wortlos reichte ihm Mackinnon das Kursbuch und
begann sich anzuziehen, während Jim mit zittriger Hand
die Seiten umblätterte und die Sonntagszüge in den
Norden heraussuchte.
MACHT UND MENSCHHEITSWOHL
    Bellmanns Haus war überheizt und verschwenderisch
möbliert. Der Diener bat Sally, in der Vorhalle zu warten.
Man bot ihr einen Stuhl an, doch ihr war der Platz zu
nahe an der Heizung, sie blieb lieber am Fenster stehen.
Sie fühlte eine Kälte in sich, die sich nicht verlieren
wollte.
    Nach einer Minute kam der Diener zurück und sagte:
»Mr. Bellmann möchte Sie jetzt empfangen, Miss
Lockhart. Bitte folgen Sie mir. « Als sie die Vorhalle
verließen, schlug es gerade neun Uhr. Sie war überrascht,
wie viel Zeit schon vergangen war. Verlor sie allmählich
das Gedächtnis? Sie fühlte sich der Welt immer ferner.
Die Hände zitterten ihr, und in ihrem Kopf pochte es.
    Sie ging mit dem Diener einen teppichbelegten Korridor
entlang und hielt an, als er an eine Tür klopfte und
öffnete. »Miss Lockhart, Sir«, sagte er und trat beiseite.
Axel Bellmann war im Abendanzug. Offenbar hatte er
gerade allein zu Abend gegessen, denn auf dem
Schreibtisch stand eine Whiskykaraffe und ein einzelnes
Glas neben einem Stoß Papieren. Er stand auf und kam
mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Sie hörte, wie die Tür
geschlossen wurde, aber nur undeutlich, denn in ihren
Ohren war ein Rauschen. Die Tasche glitt ihr aus der
Hand und fiel schwer auf den dicken Teppich. Er bückte
sich sogleich und hob sie auf. Dann geleitete er sie zu
einem Sessel.
    Sie hatte ihn ohrfeigen wollen, das gestand sie sich jetzt
ein und errötete über ihre Dummheit. Als ob sie damit
irgendetwas hätte erreichen können!
»Darf ich Ihnen einen Whisky anbieten, Miss
    Lockhart?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.
»Dann vielleicht etwas Warmes. Sie kommen aus der
Kälte. Soll ich Ihnen eine Tasse Kaffee bringen lassen?«
»Nein, vielen Dank«, brachte sie hervor.
Er setzte sich ihr gegenüber und schlug ein Bein über
das andere. Sally schaute weg.
Im Zimmer herrschte eine bullige Wärme, denn außer
einem breiten Heizkörper unter dem Fenster brannte auch
noch ein Feuer im Kamin. An den Wänden hingen Stiche
- Jagdmotive - und über dem Kaminsims waren
verschiedene Trophäen ausgestellt: Geweihe, ein Hirschund ein Fuchskopf. Eine Wand bestand nur aus
Bücherregalen, aber keines der Bücher sah aus, als wäre
es schon einmal geöffnet worden. Das ganze Zimmer
machte den Eindruck, als sei es komplett aus dem
Katalog bestellt worden. Es versammelte alle Attribute,
die man im Arbeitszimmer eines vermögenden
Gentleman erwarten konnte, ohne dass dieser sich die
Mühe hätte machen müssen, sie selbst auszusuchen.
Dann wanderte ihr Blick zurück zu Bellmann und fiel
auf seine Augen.
Sie zeigten wirkliches Mitgefühl.
Ein Gefühl überkam sie, als sei sie plötzlich ausgezogen
und in eine Schneewehe gestoßen worden. Sie musste
durchatmen und wegschauen, aber unwillkürlich
wanderte ihr Blick wieder zu diesen Augen zurück. Aber
da war kein Irrtum möglich: Sein Gesicht drückte
Mitgefühl, Verständnis, ja Zärtlichkeit aus, oder sie
konnte überhaupt keine

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