Boccaccio
BOCCACCIO
Der Dichter
des Dekameron
Insel-Bücherei Nr.
BOCCACCIO
Der Dichter des Dekameron
Mit einem Nachwort von
Fritz Wagner
Insel Verlag
Erste Auflage
© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig
(Für diese Ausgabe)
© für Hesses »Boccaccio« Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten
Bezugspapier: Italienisches Buntpapier. Anf. . Jh.
Deutsches Buch- und Schrimuseum der Deutschen Bücherei,
Leipzig
Inventar-Nr. Bul. (Slg. Seegers)
Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Druck: Nomos Verlagsgesellscha: Baden-Baden
Printed in Germany
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Giovanni Boccaccio
Der Signora Maria in Erinnerung
an unsern Spaziergang im Mugnonetal
in Verehrung zugeeignet!
Verehrte Herrschaen und vor allem Ihr, schöne und
angebetete Damen! Es ist üblich, daß demjenigen,
der ein schönes Geschenk oder Kleinod überbringt, ein
guter Dank und Lohn zuteil wird; und so werdet auch
Ihr, wenn ich Euch einen reichen Schatz ohne allen An-
spruch auf Gewinn oder Lohn übergebe und anpreise,
es freundlich aufnehmen und mir im stillen Dank dafür
wissen. Dies tue ich aber, indem ich Euch das Buch
meines Freundes Giovanni Boccaccio aus Florenz in
die Hände lege; denn Ihr werdet, sofern Ihr es verstän-
dig leset, in demselben eine solche Fülle von schönen,
klugen, erfreulichen, rührenden und lächerlichen Ge-
schichten entdecken, wie sie vielleicht außerdem kein
anderes Buch irgendeines Dichters enthält.
Seid Ihr nie an einem schönen, warmen Tage im
Frühsommer an einem fremden Garten vorübergegan-
gen? Ihr wäret allein und verdrossen, und aus dem
Garten brachte der Wind den Geruch von Rosen und
Orangenblüten, das Silbergetön einer plätschernden
Fontäne, die Klänge einer Gitarre und das von Ge-
lächter unterbrochene Plaudern fröhlicher junger Leu-
te zu Euch heraus. Da ergriff Euch Traurigkeit und
eine mächtige Sehnsucht, hineinzugehen, die staubige
Landstraße mit grünem Rasen und Blumenbeeten zu
vertauschen, die Lieder der Sänger und die frohen Ge-
spräche der Glücklichen anzuhören und Eure Sehn-
sucht an all der Heiterkeit und Freude nach Herzenslust
zu ersättigen.
Wohlan, Ihr werten Leute, hier ist das Tor des Gar-
tens: es ist geöffnet, und aus den Büschen dringt Blü-
tendu, Gelächter, Liedergesang und Saitenspiel. Tre-
tet ein, nehmet Platz, sättiget Euer Verlangen! Höret
Ihr gerne schöne Lieder an? Oder habt Ihr Lust, Euch
eine traurige Liebesmäre erzählen zu lassen? Oder freut
es Euch, einen Witz, eine Posse, eine kräige Anekdote
zu vernehmen? Oder von Beispielen des Edelsinns und
höchster Tugend zu hören? Traget Ihr Verlangen nach
vielfältigen und unerhörten Abenteuern, oder mehr
nach galanten Historien, bei welchen die Damen errö-
ten und sich, der guten Sitte halber, ein wenig entrüstet
stellen?
Ihr alle möget eintreten, und jeder wird finden, wo-
nach er sich sehnte. Denn die hundert Geschichten des
edlen Herrn Boccaccio sind so beschaffen, daß sie die
Jünglinge zum Entzücken, die Mädchen zum Erröten
oder zur Rührung, die Männer zum Lachen, die Weisen
zum Nachdenken nötigen. Man findet in diesen Ge-
schichten die verschiedenen Arten der menschlichen
Natur und Temperamente, der Liebe und Freund-
scha, der Schicksale in Leben und Sterben, alles auf
eine anmutige und wahrhaige Art erzählt und darge-
stellt. Für Kinder von zartem und unerfahrenem Alter
sind sie nicht geeignet, auch nicht für blöd gewordene
Greise, auch nicht für Leute von feindseliger, klein-
licher und mürrischer Sinnesart. Außer diesen aber
mögen sie von Jungen und Alten jeder Art mit großem
Vergnügen und gewiß auch nicht ohne Nutzen gelesen
werden.
Ehe ich weiter von diesem merkwürdigen Buche mit
Euch rede, will ich aber erzählen, wer eigentlich jener
Herr Boccaccio war (denn er ist leider schon seit länge-
ren Zeiten verstorben), und wie er das Dekameron ge-
schrieben hat.
Wer jemals auch nur die kleinste Novelle von ihm
gelesen hat, der kann nicht daran zweifeln, daß
jener ein echter Florentiner war. Denn wenn es auch
einem Fremden vielleicht möglich gewesen wäre, die
schöne und glänzende florentinische Sprache so voll-
kommen zu erlernen, so würde ihm doch immer
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