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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ich weiß auch, wo er steckt. « »Ach ja? Wo denn?«
    Der Taschendieb blickte ihn verschlagen an und rieb mit
dem Daumen am Zeigefinger. »Wie viel wäre das wert?«
»So viel wie Feispar«, beschied ihn Jim. »Dafür bist du
mir eh noch was schuldig. «
    Feispar war ein Rennpferd, das beim Wetten zwanzig
gegen eins gewonnen und beiden eine hübsche Summe
eingebracht hatte. Jim hatte den Tipp von einem Jockey
aus seiner Bekanntschaft erhalten. Dippy nickte
nachdenklich. »Das ist allerdings wahr«, gab er zu. »Also
der Typ wohnt in Lambeth. In einem schmutzigen Loch,
Allen's Yard heißt es. Bei einer gewissen Mrs. Mooney,
Irin, alt und fett. Hab ihn gestern Abend dort gesehen und
ihn gleich erkannt, weil ich ihn einmal in Gattis MusicHall gesehen habe. Was willst du denn von ihm?«
    »Er hat eine Uhr geklaut. Aber er spielt nicht in
derselben Liga wie du, Dippy; keine Angst, der macht dir
keine Konkurrenz. « »Aha. Auch gut. Im Übrigen hast du
mich heute Abend nicht gesehen, denk dran. Und ich
habe ihn auch nie gesehen. Ich muss selber auf mich
aufpassen. «
    »Verstehe schon, Dippy«, beruhigte ihn Jim. »Noch ein
Bier?« Doch Dippy schüttelte den Kopf. Er konnte es
sich nicht leisten, längere Zeit in einem Pub zu bleiben
--- aus beruflichen Gründen, wie er sich ausdrückte. Er
trank sein Glas aus und ging. Und Jim entschloss sich
nach einem kurzen Flirt mit der Bedienung ebenfalls zum
Gehen.
    Mrs. Mooneys Haus war ein stinkender, baufälliger
Schuppen, der nur deshalb nicht in den Allen's Yard fiel,
weil dafür einfach kein Platz vorhanden war. Im
schwachen Licht, das von draußen und von den trüben
Fenstern des Schuppens hereinkam, konnte man
erkennen, dass der Boden des Hofs eher einem
Entenpfuhl glich, doch das schien ein rothaariges
Mädchen, das barfuß auf der Haustürtreppe spielte,
überhaupt nicht zu stören. Es war dabei, seine Puppe mit
schallenden Backpfeifen zu erziehen und röstete sich
nebenbei ein Stück Hering über einer rauchenden
Laterne. »Ist Mrs. Mooney zu Hause?«, fragte Jim.
    Das Mädchen hob die Augen. Es sah ihn nur verächtlich
an, so dass Jim nicht schlecht Lust hatte, es einmal mit
der Erziehungsmethode zu probieren, die ihm das
Mädchen gerade an der Puppe vorführte.
    »Ich frage, ob Mrs. Mooney zu Hause ist, du kleine
Ratte. « Jetzt schaute sie interessierter. »Hast wohl
deinen Leierkasten verloren?«, fragte sie höhnisch. »Wo
hast du denn dein Äffchen und die Blechbüchse?« Jim
nahm sich zusammen.
    »Pass mal auf, du Steckrübengesicht, hol die Alte, sonst
knall ich dir eine, dass du noch bis Weihnachten
flachliegst. « Die Göre holte ein Stück Fisch aus dem
Mund und schrie »Tante Mary!«, dann steckte sie ihn
wieder hinein. Sie beobachtete mit verächtlicher Miene,
wie Jim auf der Suche nach trockenen Stellen hin und her
hüpfte.
»Machst wohl ein Tänzchen, wie?«
    Jim knurrte und wollte ihr schon eine Ohrfeige
verpassen, als ein kolossales Weib in der Tür auftauchte
und fast das ganze Licht verdunkelte, das von innen kam.
Ein starker Geruch nach Wacholderschnaps wehte heran.
»Was'n hier los?«
    »Ich suche Mr. Mackinnon«, sagte Jim. »Nie gehört. «
»Ein Schotte, dünner Kerl mit dunklen Augen. Soll vor
ein paar Tagen hier gewesen sein. Ein Zauberkünstler. «
    »Was wolln Se denn von dem?«
»Ist er da oder nicht?« Sie schien mühsam
nachzudenken.
»Is er nich«, brachte sie schließlich hervor. »Und er is
für niemanden zu sprechen. «
»Ja, dann sagen Sie ihm, wenn er wiederkommt, dass
Jim Taylor nach ihm gefragt hat. Haben Sie mich
verstanden?« »Ich sach doch, er is nich da. «
»Natürlich. Ich habe auch nie geglaubt, dass er hier sei.
Nur für den Fall, dass er eines Tages wieder auftaucht,
sagen Sie ihm, ich hätte nach ihm gefragt, ja?«
Wieder schien sie nachzudenken, dann wendete sie sich
ohne ein Wort ab.
»Alte Schnapsdrossel«, bemerkte das rothaarige
Mädchen. »Hüte deine Zunge, mein Kind«, tat Jim
entsetzt. »Mehr Respekt vor dem Alter, wenn ich bitten
darf. «
Sie nahm den Bissen Fisch aus dem Mund, schaute ihn
einen Augenblick fest an und ließ dann eine Tirade der
unflätigsten Ausdrücke los, die Jim je gehört hatte. Die
Schimpfkanonade dauerte volle zwei Minuten. Jim sah
sich als Gegenstand von Vergleichen, bei denen er selbst,
sein Gesicht, seine Manieren, sein Herkommen und sein
Verstand in unvorteilhafter Weise mit Teilen seines
Körpers und der Körper anderer, mit Teilen der Körper
von Tieren, mit dem Gestank

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