Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
hinauf.
So stand man schlammbespritzt am Straßenrand und blickte einander verwirrt an. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Presvel stirnrunzelnd. Auch er musste Tormons Zwangslage begriffen haben, und wie Seriema wusste, nicht zuletzt aufgrund seiner unglücklichen Angewohnheit, sie von morgens bis abends zu belauschen. Wahrscheinlich war auch er im Zwiespalt und freute sich, dass Tormon und seine Tochter Blanks Aufmerksamkeit entgangen waren, während er zugleich bedauerte, dass der Trupp vorbeigeritten war. Die Gottesschwerter verkörperten Macht, Schutz und Ordnung, drei Größen, die in Presvels Leben wie auch in ihrem eigenen die Grundpfeiler gewesen waren.
Abseits bewegte sich etwas im Dämmerlicht, und Seriema erspähte Scall, der auf seiner kleinen Braunen hinter einem Scheiterhaufen hervorkam und den Esel hinter sich herzog. Er übergab ein quengeliges, zerwühltes Kind seinem Vater und atmete auf. Annas, die es sich ungeduldig in Tormons Armen bequem machte, schien Scalls Erleichterung zu teilen. »Er hat seine Hand auf meinen Mund gedrückt«, maulte sie empört, »und die war ganz dreckig.«
»Du wolltest ja nicht still sein«, brachte Scall hervor. »Aber so ein bisschen Dreck tut niemandem weh.«
»Du schmeckst abscheulich.« Annas war nicht so leicht abzuweisen.
»Wenn du mich nicht gebissen hättest, bräuchtest du dich nicht darüber zu beschweren; oder?«
Zunächst hörte Tormon gar nicht hin. Nachdem die Soldaten vorbeigeritten waren, schaute er dem letzten Reiter nach, der ein wenig langsamer war und offensichtlich sein Pferd nicht gut im Griff hatte. Elion? Hier draußen zusammen mit Blank? Was ging da vor? Seine Gedanken folgten ihnen ein Stück zum Pass hinauf, dann drang die Kabbelei zwischen Scall und Annas in sein Bewusstsein. »Still«, brummte er. »Das ist nicht der rechte Augenblick für euren Unsinn. Ich muss nachdenken.« Er schob seinen Rappen dicht an Seriema heran. »Du bist mit Hauptmann Blank recht vertraut. Hast du eine Ahnung, was er vorhaben könnte, Dame Seriema? Ich verstehe nicht, warum er ins Gebirge hinaufrast, während die Stadt in Gefahr ist.«
Seriema richtete sich steif im Sattel auf. »Wie kommst du zu der Ansicht, ich sei Hauptmann Blank in irgendeiner Weise nahe gekommen?« Ihre Stimme war wie frisch gewetzter Stahl. »Was dir auch zu Ohren gekommen ist, es ist ein Sack voll Lügen.«
Der Händler sah sie erstaunt an. Was plagte diese Frau? Nun, er hatte jetzt dazu keine Zeit. Er musste einen Entschluss fassen – aber gab es überhaupt noch eine Wahl zu treffen? Da Blank sich nun auf dem Schlangenpass aufhielt, gab es für Tormon und seine Tochter nur noch eine Möglichkeit. Er wandte sich an seine Begleiter. »Das ändert alles. Es wird nun zu gefährlich sein, über das Gebirge zu reiten. Ich werde vom Plateau aus die Felsen-Strafe zu den Tieflanden nehmen, aber es steht euch frei, euer Glück woanders zu versuchen. Die Route wird wahrscheinlich bewacht sein, und in der Dunkelheit wird der Ritt ein Albtraum, aber …«
»Tormon, was redest du da?«, fiel ihm Seriema ins Wort. »Wir können nicht den Weg zu den Tieflanden nehmen. Hast du denn nichts davon gehört? Die Überschwemmung aus der Ebene fließt über den Abgrund ab und hat die Straße in ein Wildwasser verwandelt.«
Tormon wurde mit einem Mal kalt. »Weißt du das genau? Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie du vermutest. Wenn man sich vorsichtig verhält, ist der Weg vielleicht passierbar …«
»Wir wissen es nicht genau. Die Leute, die es probieren sollten, sind nicht zurückgekehrt, sodass wir keinen Bericht erhalten haben. Wir haben angenommen, dass sie ums Leben gekommen sind«, erklärte Seriema glatt. Mit hoch erhobenem Kopf blitzte sie ihn an und war wieder ganz die gebieterische große Dame. »Diesen Weg zu nehmen wäre Selbstmord. Du kannst die anderen in den Tod führen, wenn sie verrückt genug sind, dir zu folgen, aber Presvel und ich bleiben hier.«
»Verdammt und zugenäht!« Tormon blickte den Hang hinauf, wo eine Lichterreihe anzeigte, dass die Gottesschwerter mit dem Aufstieg über die Serpentinen begannen. Er holte tief Luft. »Ich werde es dennoch versuchen. Wie Dame Seriema herausgestellt hat, habt ihr anderen durchaus die Wahl und könnt den Soldaten folgen, wenn ihr wollt, oder hier auf ihre Rückkehr warten. Vielleicht können sie euch beschützen, falls ihr mit ihnen in die Stadt zurückkehrt. Es liegt bei euch. Wer mit mir kommen will, sollte sich jetzt
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