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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geschehen, aber verlange nicht von mir, daß ich dir sage, was es ist.«
    Kaspar blickte an ihr hinab, starrte dann auf den Boden vor ihren Füßen. »Dein Schatten ist noch da«, stellte er fest, doch seine Stimme klang alles andere als erleichtert.
    Sie schaute ebenfalls nach unten und sah, daß er recht hatte. Sie hatte noch gar nicht darauf geachtet. Es war so bedeutungslos wie alles, das sie selbst betraf.
    »Ich sterbe«, sagte sie tonlos.
    Er blickte sie aus großen Augen an und bemerkte, daß sie weinte. Sie wehrte sich nicht, als er sie umarmte und an sich zog.
    »Was redest du da für einen Unsinn?« flüsterte er.
    Da erzählte sie ihm al les, von ihrem Besuch im Schatz haus der Seelen und dem Preis, den sie dafür gezahlt hatte.
    Schließlich, nachdem sie geendet hatte, löste sie sich von ihm. »Verstehst du jetzt, warum du nicht mitgehen kannst?«
    Er war verwirrt und verzweifelt, und doch gewann in diesem Augenblick sein Zorn die Oberhand. Tränen funkelten auf seinen Wangen. »Nein«, entgegnete er fest, »ich verstehe es nicht. Du weinst doch, oder? Weshalb denn, verdammt? Du weinst um dich, Sarai. Du bist dir selbst nicht gleichgültig, ganz egal, wie sehr du dir das einredest.« Leiser, fast behutsam fügte er hinzu: »Und mir erst recht nicht.«
    Sie schloß die Augen und wandte sich steif von ihm ab. »Du machst es nur noch schlimmer.« Mit zügigen Schritten quälte sie sich weiter zum Tor.
    »Laß mich nicht so stehen«, flehte er. Sie biß sich auf die Unterlippe und gab keine Antwort. »Du hast versprochen, daß du mir beim Fliegen zuschaust«, rief er.
    »Das werde ich«, sagte sie leise zu sich selbst, und dann lauter, daß alle es hören konnten: »Ich werde bei dir sein, wenn du fliegst, Kaspar!«
    Sie erreichte das Tor, ging durch das kurze Stück Tunnel und trat auf der anderen Seite ins Freie. Die Söldner, die mit Aufräumarbeiten beschäftigt waren, bemerkten sie erst, als sie schon draußen war. Einige machten Anstalten, ihr zu folgen, doch da entdeckten sie den Jungen im zerrissenen Gauklerkostüm, der ebenfalls durchs Tor wollte. Sie packten ihn und hielten ihn fest.
    »Sarai!« schrie er verzweifelt.
    Mit all ihrer verbliebenen Kraft zwang sie sich, geradeaus zu blicken. Sie konnte sich jetzt nicht umsehen. Durfte es nicht. Statt dessen rannte sie los, die Straße entlang, so schnell sie nur konnte. Der Vogel lehnte sich eng an ihre Schläfe.
    Kaspar wehrte-sich vergeblich, dann wurden die riesigen Torflügel zugeschlagen. Die Söldner ließen Sarai laufen, doch ihn behielten sie in der Stadt, egal, wie sehr er strampelte und trat.
    Er gab erst auf, als sie mit ihren Waffen drohten.
    Doch selbst da noch rief er Sarais Namen, so laut, so
    schmerzvoll, daß er von den Häusern widerhallte und die Frauen erstaunt aus den Fenstern blickten, voller Neugier, voller Rührung.
    Das Hühnerhaus hatte ein Ei gelegt.
    Es lag nur wenige Schritte jenseits des Waldrandes, gleich hinter den ersten Baumreihen. Eine breite Schneise teilte dort Stämme und Dickicht und führte tiefer ins Waldland hinein, über Hügel und Felsen hinweg; eine Bresche, die kein Mensch hätte schlagen können. Bäume lagen entwurzelt und zersplittert da, Büsche waren aus dem Grund gerissen, Fuchsbauten aufgewühlt, Tiere achtlos zermalmt. Von hier aus mußte die Baba Jaga über die Wipfel hinweg die Stadt beobachtet haben, und als sie begriff, daß sie der Niederlage nur durch Flucht entgehen konnte, da hatte sie sich mit ihrem Haus auf demselben Weg zurückgezogen, den sie gekommen war mitten durch die Wälder. Ihre Spur der Vernichtung war nicht zu verkennen, und auch das Ei hätte Sarai schwerlich übersehen können. Es war etwa so groß wie ein Pferd, schien aber nach Form und Farbe ein gewöhnliches Ei zu sein: oval und von gelbstichigem Weiß. Es lag auf der Seite und war eine Handspanne breit im Boden versunken.
    Sarai blieb davor stehen, Saxonius auf ihrer Schulter. Sie war außer Atem, und der Stumpf an ihrer linken Hand blutete wieder. Lange Zeit stand sie einfach nur da und betrachtete das gewaltige Ei, während der Vogel ihr leise ins Ohr gurrte.
    Schließlich aber machte sie einen Schritt darauf zu. Das Hühnerhaus selbst war längst über alle Berge, und sie war neugierig, weshalb es etwas von sich zurückgelassen hatte.
    Vorsichtig legte sie ihre rechte Handfläche auf die rauhe Schale. Sie war nicht wirklich heiß, aber doch warm genug, um die Morgenkälte aus Sarais Gliedern zu vertreiben. Wohlig

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