Unternehmen Grüne Hölle
1. Uhr unter Wasser
Es war Ende Oktober, aber der Wind
blies wie Mitte November. Den Jungs tränten die Augen, und Gaby hatte frostrote
Wangen. Gegen die Kaltluft gestemmt, strampelten sie auf ihren Drahteseln. In einer
bauchigen Sporttasche transportierte Tim, was sie brauchten: drei Badehosen,
Gabys Schwimmanzug und vier Handtücher.
Ihr Ziel war das Neptuns-Bad, ein
Hallenbad, in dem man sich verlaufen konnte — eventuell auch verschwimmen, denn
vier Becken unterschiedlicher Größe gingen ineinander über. Bei Verabredungen
im Wasser war Ortskenntnis nötig.
„Habe ich euch schon gesagt, daß ich
euer Mitmachen nett finde“, rief Gaby über den Rand ihres Rollkragens.
„Ist doch selbstverständlich“, meinte
Tim, der sich früher Tarzan genannt hatte.
„Völlig selbstverständlich“, pflichtete
Karl bei.
Klößchen, der ganz hinten radelte,
enthielt sich der Zustimmung.
Sein Gewissen war nicht das beste. Er,
das Faultier, hatte eigentlich keine Lust gehabt. Aber Tim war ihm im ADLERNEST
— unter vier Augen also — auf die Zehen gestiegen.
„Du kommst mit. Egal, ob du gut tauchen
kannst oder nicht. Pfote braucht Unterstützung. Und da sind wir zur Stelle.
Gebongt?“
Immerhin: Jetzt maskierte sich Klößchen
mit einer Miene, als wäre er ganz versessen darauf, Johanna Behlens Armbanduhr
als erster zu finden.
Darum ging’s.
Ein kostbarer Handgelenks-Zeitanzeiger
— in sportlicher Ausführung, aber trotzdem in Gold — war abhanden gekommen.
Und Johanna wußte genau: Im Neptuns-Bad
war’s passiert. Vorhin, also während der Mittagspause. Sie hatte im großen
Becken etliche Bahnen gekrault. Samt wasserdichter Uhr. Erst bei der sechsten
Wende bemerkte sie den Verlust. Aber zum Suchen blieb keine Zeit. Johanna mußte
ins Juweliergeschäft zurück, wo sie als Geschäftsführerin arbeitete.
Das war ihr Job. Daneben galt ihre
Liebe dem Schwimmsport. Vor acht Jahren hatte sie bei einer Landesmeisterschaft
den fünften Platz belegt, und in Gabys Schwimmclub war sie ehrenamtliche
Trainerin — eine sehr beliebte sogar.
Den Rest besorgte der Zufall, der
nämlich Gaby den Hörer in die Hand gab. Gleich nach der Schule rief sie Johanna
an, um sich für morgen abend zu entschuldigen.
Wegen einer tollen Party-Einladung
mußte/wollte sie das Schwimmtraining schwänzen, wofür Johanna Verständnis
hatte. Nebenhin erwähnte sie, was ihr eben passiert war, und damit nahm Pfote
die Sache — nämlich die Suchaktion — in die Hand.
„Da sind wir“, stellte sie jetzt fest
und pustete gegen ihren Goldpony.
Zur Herbstzeit trug sie ihn um
Millimeter länger als sonst, was bisweilen die Wimpern behinderte. Aber sie sah
noch genug. Und beim Schwimmen stopfte sie ohnehin jedes Haar unter die
Badekappe.
Sie sicherten ihre Tretmühlen, fragten
an der Kasse, ob inzwischen ein ehrlicher Finder die Uhr abgegeben habe,
erhielten negativen Bescheid, beeilten sich höllisch beim Aus- und Umziehen und
trafen sich schließlich am Beckenrand.
Gaby sah Klößchen an.
„Weshalb bist du so rot im Gesicht?“
„Er kann jetzt nicht antworten“, sagte
Tim. „Er zieht den Bauch ein. Dabei hält er die Luft an.“
Sie begann zu kichern.
„Phhhhhhhh“, zischte der Atem über
Klößchens Zähne. Gleichzeitig umgürtete er sich mit seinem Handtuch. „Ich mache
das nur, weil es die Lungen stärkt. Zu meiner Wampe stehe ich.“
„Dir bleibt auch gar nichts anderes
übrig“, meinte Karl. „Und damit du gründeln kannst, werden wir Blei an dich
hängen müssen.“
„Und an dich Korken“, konterte
Klößchen, „damit du nach dem Tauchen wieder hochkommst.“
Tim löste den bewundernden Blick von
seiner Freundin und wandte sich zum Becken.
Gaby, die hübscheste Nixe weit und
breit, sagte: „Bahn drei. Johanna war nur auf Bahn drei. Keinen Zentimeter ist
sie abgewichen, sagt sie.“
Um diese Zeit war wenig Betrieb. Einige
Senioren ( ältere Menschen) dümpelten auf der Nicht-Schwimmer-Seite. Eine
Handvoll Dreikäsehochs tobte im zweiten Becken.
Wenig Auftrieb, dachte Tim. Um so
größer die Chance, daß die Uhr noch da ist.
Beim Dreier-Startklotz beugte er sich
über den Rand.
Das Wasser war klar, aber nicht so
durchsichtig wie Luft. Wegen des trübsinnigen Wetters draußen brannten hier
alle Tiefstrahler. Der Widerschein gleißte auf dem Chlor-Cocktail. Man konnte
nicht bis zum Grund sehen — jedenfalls nicht von hier aus.
„Hat so ein Becken eigentlich
Unterströmung?“ überlegte Klößchen laut.
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