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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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sind oftmals Psychopathen. Sie überschreiten jede Grenze, die du dir nur vorstellen kannst, um ihr Opfer zu beherrschen.«
    »Ist das ihr Ziel? Beherrschung?«
    »Unter anderem. Sie wollen Kontrolle. Macht. Gottähnlichkeit. Und meistens sind sie nicht mal dann zufrieden, wenn ihr Opfer am Boden liegt.«
    »Am Boden …«
    »Wenn sie es isoliert, unterdrückt und kleingemacht haben.«
    »Das heißt, ein Stalker erfährt erst dann vollkommene Befriedigung …«
    »… wenn sein Opfer ausgelöscht ist.«
    »Wenn er es getötet hat?«
    »Oder in den Selbstmord getrieben.«
    »Darf es bei Ihnen noch was sein?« Die forsche Stimme der Serviererin schreckte sie auf.
    »Gern«, sagten sie beide gleichzeitig und reichten ihr die Gläser.
    Bert schauderte. Er hatte es schon so oft mit Psychopathen zu tun bekommen und keiner war gewesen wie der andere. Zweierlei jedoch hatten sie alle gemeinsam gehabt: Sie waren von hoher, scharfer Intelligenz gewesen und hatten ihr Ziel kalt und beherrscht verfolgt.
    »Ein Stalker behält sein Ziel unbeirrt im Auge«, sagte Isa. »Und wenn er geschickt vorgeht, gibt er der Polizei keinerlei Handhabe und kann ungestört weiter seine teuflischen Kreise ziehen.«
    »Der Stalker, von dem wir hier reden«, überlegte Bert laut, »bleibt anonym. Das macht die ganze Angelegenheit noch komplizierter.«
    »Weil du auf Spekulationen angewiesen bist.«
    Bert stöhnte auf. Sie hatte recht. Er hatte tatsächlich nicht die geringste Ahnung, wo er anfangen sollte.
     
    Mir war vor Aufregung schlecht, als ich endlich das St. Marien verließ. Einige der Heimbewohner winkten mir nach. Sie taten das jedes Mal und an jedem folgenden Tag begrüßten sie mich mit frischer, unverminderter Freude. Das St. Marien  war ein zweites Zuhause für mich geworden, das wurde mir ganz plötzlich mit einem feinen Stich in der Magengegend bewusst.
    Luke stand draußen gegen die Ziegelmauer gelehnt, die im letzten Schein der Abendsonne purpurrot leuchtete, und ich musste einen Weg von mindestens zehn Metern zurücklegen, um zu ihm zu gelangen. Ich hoffte inständig, meine Füße würden mich zuverlässig dorthin tragen.
    Er sah mir entgegen, ein kleines, verlorenes Lächeln auf den Lippen, und plötzlich wusste ich - er hatte genauso große Angst wie ich.
    Das machte meine Schritte ein wenig sicherer. Es ließ auch die Übelkeit verschwinden, die mich in den vergangenen Stunden gequält hatte. »Hallo«, sagte ich, noch etwa zwei, drei Meter von ihm entfernt.
    »Hi«, antwortete er und stieß sich von der Mauer ab.
    Langsam gingen wir aufeinander zu. Schritt für Schritt. Und ich sah alles überdeutlich. Die abgestoßenen Spitzen seiner Schuhe. Die ausgeblichenen Knie seiner Jeans. Den gelben Kopf des Kugelschreibers, der aus seiner Sakkotasche lugte. Den Rotschimmer auf seinem Haar.
    Und dann sah ich das Lächeln in seinen Augen. Sie waren grau. Wie ein See an einem stillen Tag im Herbst.
    Luke nahm meine Hand. Wie selbstverständlich. Und wie selbstverständlich gingen wir nebeneinander her. Ohne zu reden, denn dafür hatten wir noch Zeit genug.
     
    Dunkelheit hatte die Landschaft verschwinden lassen und das Haus zum leuchtenden Mittelpunkt der Nacht gemacht. Imke hatte vom Wintergarten aus zugesehen, immer noch in der eigenartig unwirklichen Stimmung, die sie schon den ganzen Tag gefangen hielt. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Theaterstück zu befinden, das sie gleichzeitig von außen betrachtete. Als könnte mit ihr und um sie herum jederzeit alles geschehen, ohne dass sie Einfluss darauf nehmen konnte.
    Inzwischen war es ein Uhr geworden. Es war absolut still. Nicht mal ein Nachtvogel war zu hören. Selbst das Haus, das mit seinem Knarren und Ächzen so gern Geschichten erzählte, schwieg.
    Tilo schlief. Die Schmerzmittel hatten ihn dermaßen außer Gefecht gesetzt, dass er den kompletten Nachmittag verdämmert hatte. Gegen Abend war Ruth mit einem Strauß Blumen vorbeigekommen. Sie war nicht nur Tilos Sekretärin, sie war längst eine Freundin geworden. Imke hatte sie richtig ins Herz geschlossen.
    »Denk jetzt mal nur an dich«, hatte Ruth zu Tilo gesagt. »Die Patienten werden das überleben. Kurier dich bloß gründlich aus.«
    Tilo hatte es versprochen, mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen, das Gesicht beinah so weiß wie der theatralische Verband um seinen Kopf.
    Über Imkes Anteil an seinem Zustand hatten sie lediglich eine Handvoll Worte verloren und Imke war froh darüber. Sie hatte Ruths Mitgefühl

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