Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
erregte ihn. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Er hatte sie in die Enge getrieben und würde es zu Ende bringen. Niemals wieder würde diese grässliche, gewöhnliche Person irgendetwas in diesem Haus berühren. Und niemals würde sie Gelegenheit bekommen, ihn zu verraten. Dafür würde er sorgen.
    Schritt für Schritt bewegte er sich weiter auf sie zu. Schritt für Schritt wich sie weiter vor ihm zurück.
    Sie gab keinen Laut von sich, als sie fiel. Es war wie bei dem Vogel, den Manuel als Junge mit einem Luftgewehr abgeschossen hatte. Auch der war einfach vom Himmel gefallen, lautlos und schnell.
    Vom Kopf der Treppe aus hatte Manuel zu ihrem verdreht daliegenden Körper hinuntergesehen. Er hatte nichts gefühlt. Ein Schweißtropfen war an seiner Wirbelsäule hinabgerollt. Leise und sacht.
    Als der Anruf von Tilo kam, saß Imke gerade in einem kleinen Café und las einen Artikel über den Bau einer geplanten Umgehungsstraße. Tatsächlich hatte dieser Ort eine Verkehrsentlastung dringend nötig. Ein Lastwagen nach dem andern polterte an dem schmutzigen Fenster vorbei. Wäre die Dreifachverglasung nicht gewesen, hätte man sein eigenes Wort nicht verstehen können.
    Imke liebte es, unterwegs in Cafés einzukehren, sich ein belegtes Brötchen und ein Kännchen Kaffee zu bestellen und sich in die Lektüre einer Zeitung zu vertiefen oder sich in den ausgelegten Zeitschriften der Regenbogenpresse über die neuesten Eklats und Skandälchen in den europäischen Königshäusern zu informieren.
    Sie bedauerte es sehr, dass urige Cafés mit Plüschsesseln, schönem, altertümlichem Porzellan, duftenden Torten, Sahneschnitten und Baisers und in knisternden Tüten abgepackten Pralinen fast ausgestorben waren. Auch Serviererinnen mit gestärkten kleinen Schürzen gab es kaum noch.
    Umso erfreuter war Imke, wenn es ihr doch einmal gelang, ein solches Kleinod wie dieses hier aufzustöbern. Wolkenstores, Teppichflausch, Kronleuchter und Goldtapete beschworen eine längst vergangene Zeit herauf.
    »Hallo, Süßer«, meldete Imke sich leise.
    Sie hörte seiner Stimme sofort an, dass er eine schlechte Nachricht überbringen musste, und ihr Magen krampfte sich zusammen, während sie zuhörte.
    »Nein!«
    Die Damen am Nebentisch drehten sich zu ihr um.
    »Nein«, wiederholte Imke flüsternd. »Bitte, Tilo! Nein!«
    Als hätte er die Macht, Geschehenes ungeschehen zu machen.
    Langsam und unerbittlich bahnten sich die Worte den Weg in Imkes Kopf. Frau Bergerhausen. Allein im Haus. Treppe. Sturz. Druckstellen an den Oberarmen. Aufgehebeltes Kellerfenster.
    Sie hätte das verhindern müssen.
    »Sei nicht so streng mit dir«, sagte Tilo. »Das konnte doch niemand ahnen.«
    »Wirklich nicht? Ich habe doch gesehen, wozu dieser Wahnsinnige fähig ist.«
    »Woher willst du wissen, dass er es gewesen ist, Ike?«
    Tilo wehrte sich mit Händen und Füßen gegen das Offensichtliche. Er gab sich alle Mühe, Imke von jeder Schuld zu befreien. Doch so einfach war das nicht.
    »Du weißt es auch«, sagte sie. »Du sträubst dich bloß dagegen.«
    Sein Schweigen gab ihr recht.
    »Wann hast du sie gefunden?«, fragte sie.
    »Ich … äh …«
    Augenblicklich war ihr klar, dass ein weiterer Schrecken auf sie wartete.
    »Jette … wollte ihre restlichen Sachen abholen und … und sie kam ohne Ankündigung vorbei, sonst hätte ich doch …«
    »Ich mache mich sofort auf den Weg.« Imke klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Ohr und kramte in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie.
    »Auf gar keinen Fall!« Die Schärfe in seiner Stimme ließ Imke innehalten. »Du bleibst, wo du bist, hörst du?«
    »Tilo! Frau Bergerhausen ist tot!«
    »Ja. Und daran können wir leider nichts mehr ändern. Aber du lebst und bist in Sicherheit. Auch Jette ist nichts passiert. Versprich mir, dass du dich nicht zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen lässt!«
    »Sie ist meinetwegen gestorben.« Imkes Lippen bebten und verwackelten die Worte. »Er hat sie umgebracht, weil sie ihm nicht verraten konnte, wo ich bin.«
    »Das wissen wir nicht, Schatz.«
    Imke wusste es. Sie wusste es so sicher, wie man etwas nur wissen konnte. »Ich kenne seine Handschrift, Tilo. Ich habe mich mit ihm beschäftigt. Ich weiß, was ich sage.«
    Vor zwei Tagen hatte sie das Buchprojekt, an dem sie arbeitete, beiseitegelegt und mit einem neuen begonnen. Seitdem war der Schattengänger ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
    »Du schreibst über ihn!«
    Hatte sie wirklich geglaubt, ihm das

Weitere Kostenlose Bücher